junge Welt, 27.03.2000

Provokative Waffenschau im NATO-Protektorat

Ein Jahr nach Kriegsbeginn startet die Allianz Militärmanöver im Kosovo.

Von Rüdiger Göbel

Unter dem Protest der serbischen Bevölkerung beginnt die NATO am heutigen Montag ihr Manöver »Dynamische Antwort 2000«. Die provokative Übung soll bis zum 3. April dauern und unter anderem auch in Kosovska Mitrovica im Norden der südserbischen Provinz stattfinden. Die KFOR will damit demonstrieren, in einer »Krisensituation« rasch notwendige strategische Reserven in das Protektorat verlegen zu können.

In der vergangenen Woche hatten französische Soldaten der internationalen Kosovo-Truppen (KFOR) die Bewohner über das NATO-Manöver informiert. Über Flugblätter bekräftigte KFOR, daß die Militärübung ausschließlich Übungszwecken diene und es sich nicht um einen Angriff auf die wenigen noch im Kosovo verbliebenen Serben handele. An dem mit Jugoslawien nicht abgestimmten Manöver nehmen 1 100 amerikanische Soldaten sowie 900 weitere aus Argentinien, den Niederlanden, Polen und Rumänien teil. Die »Reserve-Truppen« sind vornehmlich in Prizren, Suva Reka und in der Nähe von Pristina sowie in Kosovska Mitrovica stationiert. Auch wenn in der Stadt am Ibar nur 15 rumänische Soldaten im Rahmen der »dynamischen Antwort« eingesetzt werden sollen, bereiten sich die dort lebenden Serben ihrerseits auf eine Übung vor. Damit solle die schnelle Reaktion auf mögliche Angriffe gelernt werden, erklärte der Bürgermeister des Nordteils, Oliver Ivanovic.

Erst am Jahrestag des Beginns des NATO-Krieges, am vergangenen Freitag, war es in Kosovska Mitrovica zu neuen Spannungen gekommen. Gegen den Widerstand der Bevölkerung markierten KFOR-Soldaten auch im Nordteil der Stadt die Grenzen der sogenannten Vertrauenszone, in der sich Serben und Albaner unbewaffnet frei bewegen sollen. Wütende Serben rissen einige der Markierungstafeln nieder, auf denen Nicht-KFOR-Mitgliedern das Tragen von Waffen und Mobilfunkgeräten sowie öffentliche Versammlungen verboten werden.

Der Stadtteil und das Gebiet jenseits des Ibar, der durch Kosovska Mitrovica fließt, ist das größte verbliebene zusammenhängende serbische Wohngebiet im Kosovo. Tausende Serben aus anderen Teilen der Provinz haben sich in den letzten Monaten dorthin vor Terrorangriffen militanter Kosovo-Albaner in Sicherheit gebracht. Da KFOR der serbischen Bevölkerung keinen Schutz garantierte, ist das Vertrauen in die NATO-geführten Truppen auch in Kosovska Mitrovica auf den Nullpunkt gesunken. Effektiven Schutz verspricht man sich nur durch eigene Selbstverteidigungskräfte, die in den vergangenen Wochen als sogenannte Brückenwächter zu kontrollieren versuchten, wer aus dem albanischen Süd-Mitrovica in den Nordteil gelangte. Die NATO-Übung »Dynamische Antwort« und die KFOR- »Vertrauenszonen« werden insofern als gezielte antiserbische Provokationen verstanden.

Erst am Samstag waren Kosovo-Serben wieder Opfer von Terrorangriffen. In Urosevac warfen Unbekannte einen Molotow-Cocktail in ein serbisches Haus, in Gnjilane wurde eine Handgranate von einem vorbeifahrenden Auto heraus auf ein Haus geworfen, das Serben gehört, wie KFOR-Sprecher Philip Anido am Sonntag erklärte.

Erstmals seit einem Jahr wird am Dienstag die selbsternannte »Balkankontaktgruppe« wieder zusammenkommen. In Paris wollen Vertreter aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, den USA und Rußland die Lage im Kosovo erörtern. US-Außenministerin Madeleine Albright hatte erst in der vergangenen Woche betont, daß der Status quo der Provinz als Teil Jugoslawiens nicht aufrechterhalten werden könne. Eines der zentralen Themen des Treffens ist die für Herbst geplante Kommunalwahl im KFOR-NATO-Protektorat, der im kommenden Jahr Parlamentswahlen folgen sollen. Damit würde einer von kosovo-albanischer Seite geforderten Sezession weiter der Weg geebnet. Die Balkankontaktgruppe ist als agierendes Gremium insofern von Bedeutung, als hier Rußland in die antijugoslawische Politik der NATO-Staaten eingebunden wird. Moskau hatte sich aus Protest gegen den Krieg des nordatlantischen Bündnisses im vergangenen Jahr aus der Kontaktgruppe zurückgezogen.