Neue Luzerner Zeitung (CH), 22.3.2000

Irak: UNO-Sanktionen sind seit über neun Jahren in Kraft ­ bewirkt haben sie das Gegenteil

Saddam sitzt fest im Sattel Während die USA an Sanktionen festhalten, drängen westliche und arabische Geschäftsleute nach Bagdad. Das Volk sinkt immer tiefer in die Katastrophe.

VON BIRGIT CERHA, NIKOSIA

Hans Blix, der 71-jährige Schwede, bastelt an seinem «Organisationsplan». In rund sechs Wochen will der einstige Aussenminister und Chef der «Internationalen Atomenergiebehörde» seine Ideen über ein neues Rüstungskontrollprogramm für den Irak dem Weltsicherheitsrat präsentieren. Blix steht einem siebzehnköpfigen neuen internationalen Expertenteam zur Abrüstung des Iraks (Unmovic) vor, das demnächst die Vorgängermannschaft (Unscom) ablösen soll. Ob die Kontrolleure den Irak wirklich bereisen können, erscheint indes höchst fraglich. Sicher ist vorerst der Widerstand des irakischen Dikators Saddam Hussein gegen diesen erneuten Versuch der UNO, den Aufbau eines Arsenals von Massenvernichtungswaffen zu vereiteln. Blix gibt sich zuversichtlich, irgendwann werde der Irak die Inspektoren doch ins Land lassen, denn Unmovic könne den Weg zum Ende der nun fast zehn Jahre dauernden Sanktionen ebnen.

Elend im Irak, Protest im Ausland

Unterdessen sieht der irakische Überlebenskünstler wohl immer weniger Grund, sich der UNO zu unterwerfen. Das Embargo hat sein Regime gestärkt. Saddam sitzt heute fester im Sattel als in den vergangenen zehn Jahren. Und tief befriedigt nimmt man am Tigris wohl die wachsende Rebellion in der internationalen Gemeinschaft gegen die schärfsten Sanktionen zur Kenntnis, die die Welt je verhängte. Im Februar konnte Hans von Sponeck, Koordinator für die humanitären Aktionen der UNO im Irak, seine Aufgabe nicht länger mit seinem Gewissen vereinen. Eines von fünf Kindern, begründete der deutsche Diplomat seinen Entschluss, gehe Abend für Abend unterernährt zu Bett, eine ganze Generation junger Menschen werde der Chance auf ordentliche Bildung beraubt, während das Öl-für-Nahrung-Programm der UNO, das Bagdad Exporte im Wert von 10,5 Milliarden Dollar im Jahr gestattet, dem einzelnen Bürger lediglich 252 Dollar pro Jahr sicherte. Das internationale Team Ärzte für soziale Verantwortung spricht gar von nur 180 Dollar, mit denen «alles finanziert werden muss: Strom- und Wasserversorgung, Abwässer, Nahrungsmittel, Spitäler, Medikamente usw.».

Auch IKRK schlägt Alarm

Nur wenige Tage nach Sponeck legte die Leiterin des Welternährungsprogramms im Irak ihr Amt nieder. Bereits 1998 hatte Sponecks Vorgänger, Dennis Halliday, tief empört die «Vernichtung einer gesamten Nation» angeprangert. Der Serie der Rücktritte folgte ein alarmierender Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der «sich stetig verschlechterne Lebensbedingungen, Inflation und niedrige Löhne» beklagt, «während Mangel an Nahrungsmitteln, Medikamenten und sauberem Wasser» die irakische Bevölkerung tödlich bedrohten. Nach fast zehn Jahren meldeten sich erstmals in den USA siebzig Kongressabgeordnete und Senatoren gegen diesen «als Politik maskierten Kindermord» zu Wort.

Immer neue Handelsdelegationen

Während die irakischen Bürger immer tiefer in Verzweiflung stürzen, wittert eine winzige Schicht von Profiteuren neue Morgenluft. Arabische und asiatische Geschäftsleute strömen nach Bagdad. Eine italienische Handelsdelegation folgte eben einer österreichischen. Ein deutsches Team sondierte am Tigris Möglichkeiten einer Wiedereröffnung der Botschaft. Die Japaner folgen, während sich irakische Delegationen nach Spanien und in die Türkei aufmachen. Die Zahl westlicher Firmen, die mit immer grösserer Ungeduld auf das lukrative Geschäft im Zweistromland hoffen, wächst stetig. Zugleich hat das Regime längst Wege gefunden, die Sanktionen für sich und seinen engsten Kreis zu umgehen: Obwohl alle für den Irak bestimmten Waren der Billigung eines Sonderkomitees der UNO bedürfen, schätzen UNO-Beamte, dass auf jeden genehmigten Lkw, der die Grenze von Jordanien überquert, zwanzig andere kommen, die dies ohne UNO-Zustimmung tun; an der Grenze zur Türkei liegt das Verhältnis gar bei 1 zu 200. An manchen Tagen bilden sich am Grenzübergang bis zu 30 Kilometer lange Schlangen wartender Öltankwagen. Von einem Hafen am Persischen Golf stechen täglich Flotten kleiner Schiffe, mit irakischem Öl beladen, in See, um rasch in iranischen Hoheitsgewässern Schutz vor britischen oder amerikanischen Patrouillenbooten zu finden.

Sicherheitsrat wird flexibler

Schon erwägt man im Weltsicherheitsrat, die irakischen Exporte ganz freizugeben. Diesem Schritt könnte die Aufhebung der Genehmigungspflicht für unumstrittene Kategorien von Waren durch das UNO-Sanktionskomitee folgen. Washington hatte bisher die Lieferung von bis zu dreissig Gütern ­ von Baumaschinen bis zu Autobatterien ­ verhindert und an die tausend Lieferverträge für einen Gesamtwert von 1,78 Milliarden Dollar blockiert. Gewisse Anzeichen aus jüngster Zeit lassen auf eine flexiblere Haltung hoffen. Im UNO-Komitee befasst man sich nun auch mit der Frage, ob ausländische Ölkonzerne am Wiederaufbau der Ölindustrie beteiligt werden dürfen. Saddam hat es verstanden, das Embargo als Werkzeug zu totaler politischer Kontrolle im Land einzusetzen und zugleich arabische und islamische Sympathie gewonnen. Das Öl-für-Nahrung-Programm garantiert der Bevölkerung das Minimum, damit sie nicht in Massen stirbt, während sich das Regime mit Hilfe von Schmuggel jene Gelder besorgt, die es für Repression und Aufrüstung benötigt. Die Sanktionen verschaffen dem Diktator gar eine finanzielle Erleichterung: Sie entheben ihn der Rückzahlung gigantischer Schulden.