taz, 21.3.2000

Green Card lieber per Gesetz

Experten aus Europa und den USA geben Empfehlungen für die "Migration im neuen Jahrtausend". Ihr Rezept: Die Realität anerkennen und Einwanderungsgesetze entwickeln, anstatt die Augen vor der Tatsache der Immigration fest zuzukneifen von LUKAS WALLRAFF

Hartnäckig hält sich das Gerücht, Gerhard Schröder habe vor ein paar Wochen auf der Fahrt zur Computermesse Cebit noch schnell ein schlagzeilenträchtiges Thema für seine Rede gebraucht und deshalb spontan die Idee von der Green Card für Inder ersonnen. Ganz so wird es nicht gewesen sein, aber was er mit seinem Überraschungscoup auslösen würde, war ihm wohl kaum bewusst. Denn nun ist eine neue Diskussion um die Einwanderungspolitik entbrannt, die ihm gar nicht recht ist, weil jeden Tag klarer wird, dass der Regierung ein langfristiges Konzept fehlt.

Besonders deutlich wurde dies gestern auf einer Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung in Berlin. Namentlich kritisiert wurde Schröder nicht, aber politische Schnellschüsse wie sein Green-Card-Vorschlag sind es, die die internationale Expertenrunde zur Einwanderungspolitik bemängelte. "Wenn die Politik diesem Problem nur sporadisch Aufmerksamkeit schenkt, so ist dies zu wenig und geschieht in der Regel zu spät", heißt es in dem Abschlusspapier der "Transatlantischen Lerngemeinschaft". Unter diesem Namen trafen sich zwei Jahre lang europäische und amerikanische Universitätsprofessoren, hochrangige Regierungsberater und Spezialisten, um Erfahrungen auszutauschen. Herausgekommen sind Empfehlungen für die "Migration im neuen Jahrtausend".

Bei allen Unterschieden waren sich die Amerikaner und Europäer an vielen Punkten einig. Für Susan Martin von der Georgetown University in Washington ist die wichtigste Erkenntnis: "Die Immigration in unsere Länder wird auch im 21. Jahrhundert nicht abnehmen, sondern zunehmen." Wie die transatlantischen Experten müssten auch die Regierungen verstärkt zusammenarbeiten. Die einzelnen Länder könnten nicht länger allein vor sich hin wursteln, sondern müssten einheitliche Regelungen finden.

Was Europa von Amerika lernen könne, da waren sich die Experten einig, ist eine realistische Einschätzung des Status quo. So wie die USA schon immer, seien auch die Länder der EU faktisch Einwanderungsländer geworden. "Staaten, die trotz gegenteiliger Beweise auf dem Standpunkt beharren, dass sie keine Einwanderungsländer seien", warnt die Lerngemeinschaft, "werden unweigerlich an der Aufgabe scheitern, eine sinnvolle Regelung für dieses Problem zu finden." Der französische Vertreter Patrick Weil von der Pariser Sorbonne machte dabei deutlich: "Europa muss offener werden für die amerikanische Art, Europa muss seine Tore öffnen."

Ohne auf die aktuellen Vorschläge deutscher CDU-Politiker und Wirtschaftsvertreter einzugehen, forderten die Experten klare und transparente Regelungen - ob diese nun Einwanderungsgesetz genannt werden oder nicht: "Regierungen sollten klar formulieren, wer in ihr Hoheitsgebiet einwandern darf." Drei Gruppen von Menschen sind es, die man hereinlassen sollte: Flüchtlinge, Familienmitglieder von bereits im Lande lebenden Immigranten und hochqualifizierte Fachkräfte.

Wenn einmal klar sei, wer kommen darf und wer nicht, dann müssten diese Regeln auch eindeutig festgelegt und streng eingehalten werden, damit jeder wisse, woran er ist: die Bevölkerung der Aufnahmeländer und die Menschen, die einwandern möchten. Es nütze nichts, Menschen erst einmal hereinzulassen und dann zu überlegen, was mit ihnen zu tun sei. Damit die Einwanderung sinnvoll gesteuert und akzeptiert werden kann, müssten die Kriterien schon an der Grenze besser überprüft werden und Nichtberechtigte notfalls streng abgewiesen werden.

Was Europa nicht von Amerika übernehmen sollte, sei die Quotenregelung. Eine bestimmte Zahl von Immigranten pro Jahr festzulegen, sei nicht der richtige Weg, gab auch Susan Martin zu, die die amerikanische Regierung in Einwanderungsfragen berät. Denn die festen Quoten verhinderten das wichtige Ziel der Familienzusammenführung. "Eine Million Menschen stehen zurzeit auf den Wartelisten, und im Durchschnitt dauert es viereinhalb Jahre, bis Familienmitglieder nachkommen können."

Die Experten sehen es mit Freude, dass auch in Deutschland die Bereitschaft wächst, über ein Einwanderungsgesetz nachzudenken. Doch den Versuchen von Unionspolitikern, bei dieser Gelegenheit mal eben das Asylrecht zu kippen, schieben die Experten einen Riegel vor. Die neue Einwanderungspolitik dürfe "nicht dazu führen, dass die Maßstäbe, nach denen Asyl gewährt wird, niedriger angesetzt werden".