Neue Zürcher Zeitung, 16.3.200

Iranische Sorgen mit inneren Feinden

Konservative hinter dem Mordanschlag auf Hejarian?

Der Erdrutschsieg der Reformer in der iranischen Parlamentswahl scheint eine gewaltsame Reaktion der Feinde einer Normalisierung hervorzurufen. Der führende Reformer Hejarian ringt nach dem Mordanschlag vom vergangenen Sonntag mit dem Tod. Und die Exilopposition der Volksmujahedin hat Spannungen zwischen Iran und dem Irak provoziert.

vk. Limassol, 15. März

Eine Reihe von gewaltsamen Zwischenfällen in den letzten Tagen scheint die Warnungen vor einer Zunahme politisch motivierter Gewalt in Iran zu bewahrheiten. Das überaus klare Votum der iranischen Wähler für Demokratie, Rechtsstaat, Republik und Reformen bei der Parlamentswahl vom 18. Februar hat die Rache der Ewiggestrigen heraufbeschworen. Für politisch interessierte Iraner gibt es wenig Zweifel daran, dass eine Zelle von rechtsradikalen Aktivisten aus dem Geheimdienstministerium mit dem Attentat auf einen führenden Reformer, den Stadtrat und Journalisten Said Hejarian, am letzten Sonntag Unruhe stiften und das demokratische Spiel verderben wollte. Wie erwartet, sprangen die opportunistischen Volksmujahedin aus dem Exil auf den fahrenden Zug auf und lancierten am Montag einen völlig missratenen Mörserangriff mitten in Teheran. Das verwickelte die Regierung in eine Logik der Vergeltung gegen einen Stützpunkt der Gruppierung im Irak.

Ein Vorleben im Geheimdienst Der Mordanschlag auf Hejarian war am Mittwoch, trotz Aufrufen von Präsident Khatami an die Polizei, noch ungeklärt. Die Sicherheitskräfte erliessen einen Appell an die Öffentlichkeit mit dem vagen Steckbrief eines blonden, kurzgewachsenen Verdächtigen, der für den Anschlag am Sonntag morgen ein schweres Motorrad benutzt habe. Hejarian war an jenem Morgen vor dem Stadthaus von einem Killer mit einer Pistole mit Schalldämpfer zweimal angeschossen worden. Der Täter entkam dank einem Komplizen mit dem Motorrad. Laut Polizeiangaben benutzen gewisse Dienststellen solche Motorräder für Transporte in Teheran. Hejarian liegt seither im Koma. Eine Kugel sitzt in der oberen Nackengegend fest. Alle führenden Reformer gaben ihrer Empörung und Erschütterung Ausdruck, und auch Konservative verurteilten den Anschlag.

Ein nahezu zwingender Verdacht trifft eine Täterschaft aus Hejarians früherem Umfeld, dem Geheimdienstministerium. Der 47jährige Hejarian hatte sich nach der islamischen Revolution beim Ettelaat-Dienst bis zum stellvertretenden Minister hochgedient; seine Sonderaufgabe war, wie es heisst, die psychologische Kriegführung. Nach dem Wahlsieg Khatamis im Mai 1997 erschien er plötzlich in der Khordad-Front der Reformer und will immer ein Anhänger der Säkularisierung gewesen sein. Als aufklärerischer Chefredaktor der Zeitung «Sobh-e emruz» deckte er Hintergründe jener Mordserie gegen Freidenker im Herbst 1998 auf, welche die Reformer als einen Frontalangriff auf ihre ganze Strömung auffassten. Vier ehemalige Kollegen Hejarians kamen ins Gefängnis; der stellvertretende Geheimdienstminister Said Emami nahm sich unter zweifelhaften Umständen in der Zelle das Leben. Hejarian gewann dank seiner Popularität unter der Leserschaft die Stadtratswahl in Teheran und diente im Februar als Galionsfigur von Khatamis Partei im Wahlkampf. Die zentristische Dienstleister-Partei warf ihm illegale Abhörmethoden und andere Geheimdienstpraktiken für seinen Enthüllungsjournalismus vor. Andere strengten ein Gerichtsverfahren gegen ihn an. Was liegt nun näher als die Vermutung eines Racheaktes von versteckten Anhängern Emamis, mit abschreckender Breitenwirkung gegen alle Aufklärer?

Ein Gewaltakt ruft nach einem anderen
Präsident Khatami, dessen Bruder Mohammed-Reza die Beteiligungspartei leitet, geisselte die Angreifer als Terroristen. «Diese Feinde haben bereits Morde verübt und eine Terrorwelle im Lande ausgelöst, doch ohne ihr Ziel zu erreichen», bemerkte er unter Anspielung auf die Morde an den Freidenkern. Die Regierungszeitung «Iran Daily» kommentierte am Mittwoch, die Angreifer Hejarians hätten damit gerechnet, dass sie die Volksmujahedin zu weiteren Gewalttaten anstacheln könnten. Am Montag eröffneten Militante dieser Exilgruppe mit einem Mörser das Feuer in Teheran. Anstatt des angeblich anvisierten Hauptquartiers der Revolutionswächter trafen sie aber mit fünf Granaten ein Wohnviertel und hinterliessen vier zivile Verletzte. Die Regierung geisselte das als Terrorismus und vergalt es am Dienstag mit einem Luftangriff. Die Volksmujahedin meldeten einen Raid zweier iranischer Kampfbomber auf ihre Basis im irakischen Ort Jalula, bestritten aber jegliche Schäden oder Opfer. Die irakische Fliegerabwehr bestätigte indirekt am Mittwoch die Aktion, indem sie den Abschuss eines unbemannten iranischen Flugapparats am Vortag in der gleichen Gegend, nämlich bei Khanakin, bekannt gab. Diese Verkettungen von Gewalttaten zeigen, dass die iranischen Verhältnisse trotz allen Fortschritten der Demokratie noch längst nicht gefestigt sind.