Frankfurter Rundschau, 17.3.2000

Hamburg lädt hochrangige Abschiebehelfer zum Musicalbesuch ein

Ausländerbehörde der Elbestadt wegen Botschaftsanhörungen in der Kritik / Kinderflüchtlingen droht Ausweisung

Von Jörg Schindler (Hamburg)

Flüchtlinge und Hilfsorganisationen haben für Montag zum Protest gegen die umstrittenen Botschaftsanhörungen in der Hamburger Ausländerbehörde aufgerufen. Damit gerät das Amt, das seit Monaten für negative Schlagzeilen sorgt, erneut ins Rampenlicht.

In der Hamburger Ausländerbehörde residiert von Montag an ein Botschaftsvertreter aus Sierra Leone. Er soll in Kurzinterviews klären, ob 250 Afrikaner "ungeklärter Staatsangehörigkeit" aus Sierra Leone stammen und diesen gegebenenfalls Passersatzpapiere ausstellen. Anschließend sollen die Flüchtlinge - unter ihnen etliche ehemalige Kindersoldaten - so schnell wie möglich abgeschoben werden. Die Botschaftsanhörungen, die nach Auskunft von Pro Asyl nur in Bayern und Hamburg als "übliche Praxis" betrieben werden, sind hoch umstritten. "Wir halten sie für rechtswidrig", sagt Conny Gunßer vom Flüchtlingsverein Info International. So seien bei den jüngsten Anhörungen vor Vertretern aus Liberia, Guinea und der Elfenbeinküste Verstöße gegen den Datenschutz registriert worden. Unter anderem sollen die Diplomaten Einblick in Asylakten bekommen haben, was die Ausländerbehörde bestreitet. Auch die Entlohnung der Botschaftsräte stößt in Hamburg auf Verwunderung: So zahlte der Stadtstaat für die beiden liberianischen Vertreter in drei Tagen für Unterkunft und Verpflegung 3800 Mark inklusive Stadtrundfahrt. Beim ivorischen Diplomaten stand zudem ein Musicalbesuch auf dem Programm. "Da sollen wohl finanzielle Anreize geschaffen werden", argwöhnt Pia Peddinghaus von der "Sozialpolitischen Opposition". Die Ausländerbehörde sieht das anders: Man müsse den Diplomaten "ein bisschen was bieten". Im Übrigen, so ein Sprecher, sei man die "ständigen Verunglimpfungen" leid.

Das Amt steht in der Kritik, seit im April 1999 ein internes Schreiben öffentlich wurde, das Dirk Hauer von der Regenbogen-Fraktion ein "Abschiebe-Verschärfungspapier" nennt. Darin wird vorgeschlagen, eigene Ärzte zu beschäftigen, um angebliche "Gefälligkeitsgutachten" zu überprüfen, Ehepartner häufiger getrennt auszufliegen, verstärkt Abschiebehaft zu verhängen und nicht allen Petitionen aufschiebende Wirkung beizumessen. Die Empörung darüber mündete in eine "politische Verständigung" der Koalitionäre SPD und Grün-Alternative Liste (GAL), in der keiner der Vorschläge ausdrücklich verboten wird. "Ein Freibrief für die Ausländerbehörde", sagt Hauer.

Seither häufen sich in Hamburg Merkwürdigkeiten: Im August wurde eine Rumänin, der ein Amtsarzt schwere psychische Erkrankung attestiert hatte, abgeschoben; im November flogen Mitarbeiter der Ausländerbehörde auf, die das Asyl-Verteilersystem "Easy" manipuliert hatten; im Februar wurde ein Armenier trotz laufender Petition von seiner Familie getrennt des Landes verwiesen. Auch zuvor war die Ausländerbehörde ins Zwielicht geraten: Für einen Skandal sorgte etwa, dass eine Honorarkonsulin in München den Hamburgern Papiere für Gambier besorgt hatte, die sie nie gesehen hatte.

Auch die Grünen halten die Methoden inzwischen für "komplett fragwürdig", wie Sprecherin Tina Fritsche sagt. Sie forderten den Senat jüngst per Antrag auf, bis 5. April zur Hamburger Abschiebepraxis Stellung zu nehmen. In der selben Bürgerschaftssitzung verlangte die Regenbogen-Fraktion, die Abschiebe-Verschärfungen sofort einzustellen. Dieser Antrag wurde abgelehnt - mit den Stimmen von SPD, CDU und GAL.