Die Welt, 16.3.2000

Ankara verschließt sich Reformen

Kein Dialog mit den Kurden - Allenfalls kosmetische Korrektur bei Menschenrechten

Von Evangelos Antonaros

Athen/Istanbul - Die Türkei tut sich schwer mit der Anpassung ihres politischen Systems an westeuropäische Maßstäbe - ein Grundsatz, zu dem sie sich bei der Anerkennung als Beitrittskandidat für die EU auf dem Gipfel in Helsinki verpflichtet hatte.

Zahlreiche Fälle in den vergangenen Tagen zeigen im Gegenteil, dass keine klare Bereitschaft der türkischen Eliten für mutige Reformen in der Menschenrechts- und insbesondere in der Kurdenfrage vorhanden ist. Ankara zeigt kaum Neigung, die von moderaten Kurden, aber auch von der PKK gemachten politischen Avancen zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts aufzugreifen. Die Fronten sind verhärtet.

Nach der überraschenden Festnahme des stellveretretenden Vorsizenden der pro-kurdischen Hadep-Partei, Eyup Karagecili, befindet sich nun die gesamte Führungsmamnnschaft der vom Verbot bedrohten Formation in Haft. Allen Spitzenpolitikern der Hadep werden "separatistische Tedenzen" angelastet. Gleichzeitig wurde bekannt, dass der prominenteste Bürgerrechtler der Türkei, Akin Birdal, dem aus gesundheitlichen Gründen Haftverschonung gewährt worden war, am 23. März wieder ins Gefängnis muss.

In allen diesen Fällen wird der berüchtigte Gummi-Paragraph 312 des türkischen Strafgesetzbuches angewandt. Er sieht hohe Haftstrafen gegen Personen vor, die Hass unter Ausnutzung von Unterschieden in Gesellschaftsklassen, Religionen, Rassen oder Regionen verbreiten. Unter diesem Pauschalverbot, das Rechtsexperten für eine Art Maulkorb gegen jede Art von Meinungsfreiheit halten, ist kürzlich auch der frühere islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Das Strafmaß gegen Türken, die von Ankaras Kurdenpolitik abweichende Reden halten, fällt meist weit höher aus.

Seit Jahren ist häufig über eine Änderung oder die Abschaffung von Pragraph 312 gesprochen worden. Aber das einflussreiche Militär und die sehr konservative Richterschaft haben sich dagegen gesperrt. Nach einem Gespräch mit Portugals Außenminister sagte zwar der türkische Premier Bülent Ecevit nun in Ankara, als "Beitrag zur Festigung der Demokratie" müssten gewisse Änderungen vorgenommen werden. Aber der Grundinhalt dürfe nicht angetastet werden. Im Klartext also: Nur mit Blick auf Europa ist Ankara zu kosmetischen Tüfteleien bereit.

Selbst ob es dazu kommt, erscheint fraglich. Vor allem das Militär macht aus seinem Unbehagen über die "von außen", also von Europa, gemachten Vorschriften in Richtung Demokratisierung keinen Hehl. Manche Entscheidungsträger vermuten sogar einen "gezielten Unterhöhlungsversuch". In Hintergrundgesprächen betonen hohe Offiziere, dass sie "nie und um keinen Preis" Reformen zulassen wollen, die einem Zerfall der Türkei gleichkämen.

Daher ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die nun auf dem dem 7. Parteikongress der PKK in Amsterdam formulierte neue politische Plattform von Ankaras Machthabern aufgegriffen wird. Darin wird das Wort Kurdistan kaum noch benutzt, die Forderung nach kurdischer Autonomie ist denen nach Demokratie für "alle Türken" und besonderer Wirtschaftsförderung für die bislang vernachlässigte Südost-Türkei gewichen.