Die Welt, 16.3.2000

Brüssel betrachtet die Türkei mit zunehmender Sorge

Von Andreas Middel

Brüssel - In Brüssel wird der Umgang türkischer Stellen mit der kurdischen Minderheit zunehmend mit Sorge betrachtet. Erst Ende der vergangen Woche hatte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen bei seiner Reise nach Istanbul und Ankara die türkische Regierung aufgefordert, die Probleme im Südosten des Landes zu lösen. In den mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten seien umfassende soziale und wirtschaftliche Reformen notwendig, mahnte Verheugen in der Türkei an. Dort müssten Fortschritte erzielt werden.

Doch mit solchen Forderungen beißt Verheugen wie die meisten europäischen Unterhändler in Ankara auf Granit. Für Premier Bülent Ecevit gibt es offiziell keine "Kurdenfrage" in seinem Land, sondern allenfalls Probleme in dessen Südosten. Dennoch macht man von europäischer Seite klar, dass ohne eine Lösung des Kurdenproblems eine näheres Heranrücken der Türkei an Europa nicht möglich ist. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der der Türkei wird von Seiten der EU ganz wesentlich an eine Lösung dieser Frage geknüpft. "Gleichgültig wie man es nennt, ob kurdisch oder südöstlich, es bleibt ein Problem", sagt ein Brüsseler Diplomat.

Trotz gewisser Bemühungen der türkischen Regierung, das Land innenpolitisch auf Europa-Kurs zu bringen, notiert man in Brüssel eine Reihe von Vorfällen, die nicht auf eine Beruhigung in der Kurdenfrage hinweisen. So wurden kürzlich eine ganze Reihe von Bürgermeistern verhaftet und angeklagt, weil sie angeblich Fördergelder an die in der Türkei verbotenen PKK weitergeleitet haben sollen. Zwar wurden die Bürgermeister inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt, doch die Anklage bleibt weiter bestehen.

Allerdings warnt man in Brüssel auch vor übertriebenen Erwartungen an Ankara. Mögliche Reformbestrebungen würden sich nicht heute oder morgen bemerkbar machen. Und je mehr von EU-Seite die Regierung kritisiert werde, umso stärker fühle sich die Türkei auf der Anklagebank. Zuletzt habe der im letzten Moment von den türkischen Stellen nicht genehmigte Besuch eine Europaparlamentarier-Gruppe bei der inhaftierten kurdischen Abgeordneten Leyla Zana den Stolz der Türkei verletzt - wegen des öffentlichen Wirbels, den die Absage auslöste.

Vor allem aber gebe es auf türkischer Seite Ernüchterung darüber, dass seit dem Gipfel von Helsinki, auf dem die Türkei zum 13. EU-Beitrittskandidaten ernannt wurde, die Annäherung an die EU nicht schneller voranschreite. Doch solche Rückschgläge gehörten zur Normalität, heißt es in Europas Hauptstadt.