Kölner Stadtanzeiger, 16.3.2000

Die Aushöhlung eines Rechtes

Eine alte Diskussion wird wiederbelebt und weckt böse Erinnerungen

Von Marianne Quoirin

Wo Menschenrechte mit Füssen getreten werden, ist humanes Leben nicht mehr möglich. Und so suchen die Flüchtlinge, die zu uns kommen, weniger den goldenen Westen als vielmehr Schutz." Diese Sätze stammen aus einer Anzeige, mit der Anfang 1992 die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" um Verständnis für Flüchtlinge bat. Doch das Ziel, in einer aufgeheizten Atmosphäre aufzuklären, schlug fehl. Die Antwort auf die Kampagne: kaum Spenden, aber viele hasserfüllte Reaktionen.

Wer auf Wahlveranstaltungen Asylbewerber damals Schmarotzer nannte, durfte mit Zustimmung, wenn nicht gar mit Beifall rechnen. Die klare Aussage von Artikel 16 des Grundgesetzes wurde als existenzielle Bedrohung empfunden: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Die Angst vor dem, was im auseinander brechenden Ostblock geschah, die Furcht vor angeblicher Überfremdung, Kriminalität; die Wohnungsnot in Ballungsgebieten, die Finanzmisere der öffentlichen Haushalte, die Probleme der Wiedervereinigung, die Gewalttaten der Rechtsradikalen: alle Ereignisse wurden in einen Zusammenhang mit dem angeblich missbrauchten Grundrechtsartikel gequält. Eine sachliche Debatte: Fehlanzeige.

In allen Parteien - mit Ausnahme der Grünen - wurden die Nachdenklichen überstimmt. Im November 1992 votierte die SPD für eine Änderung des Asylrechts; einen Monat später segneten die Unionsparteien, SPD und FDP den so genannten Asylkompromiss ab: Alle Nachbarstaaten Deutschlands gelten als sichere Drittstaaten, wer von dort einzureisen versucht, kann ohne Prüfung zurückgeschickt werden; die Flughafen-Regelung mit den Schnell-Verfahren ist nach wie vor rechtlich umstritten.

Mit der Aushöhlung des Asylrechts war die Debatte aber nur vorübergehend beendet, es begann eine neue Gespensterdebatte - um ein Einwanderungsgesetz. Eine gesetzliche Regelung noch in dieser Legislaturperiode schloss SPD-Generalsekretär Franz Müntefering jetzt aus, nachdem die CDU rechtzeitig zum Auftakt des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen eine neue ausländerpolitische Debatte entfacht hat - mit all den Argumenten, die schon einmal hin und her gewendet worden sind. Vor allem unter dem Vorwand einer einheitlichen, die Aufnahme von Flüchtlingen immer stärker begrenzenden Regelung für ganz Europa. Denn angeblich sind es immer die bösen Nachbarn, die Asylbewerber loswerden möchten und deshalb über die grünen Grenzen schicken. Das Argument ist freilich nicht typisch deutsch. Großbritannien, bekannt für eine noch restriktivere Praxis, will abermals die Schrauben fester anziehen, weil angeblich Belgien und Frankreich Roma in Scharen über den Kanal schicken.

Die Mittel: Knast für Betteln, Express-Rückführungen kurz nach der Ankunft. Zurück nach Deutschland. Es lohnt sich zu erinnern: Schon 1973 wurde der erste Anlauf unternommen, das Asylrecht auszuhöhlen. Im Schatten der Ölkrise begann das deutsche Wirtschaftswunder zu verblühen, ein Stopp für die Anwerbung von Gastarbeitern war das erste, was den Politikern einfiel. Zum ersten Mal tauchte in Berichten das Wort "Asylmissbrauch" auf. Wer es erfunden hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Doch irgendwie wurde es von der Mehrheit kritiklos hingenommen, dann vergessen, bevor es Anfang der 90er Jahre wieder aus der Versenkung hervorgeholt und im Zusammenhang mit Katastrophen-Begriffen immer wieder heraufbeschworen wurde: Asylflut; Dammbruch, Ausländerschwemme. Und jetzt? Das ganze noch einmal mit neuen Wortschöpfungen?