junge welt, 16.3.2000

Deckt Rot-Grün Kriegsverbrecher?

jW sprach mit Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der PDS

F: Heute vor zwölf Jahren, am 16. März 1988, wurde im Irak die Stadt Halabja mit chemischen Waffen bombardiert. Dabei kamen mehr als 5 000 Kurden ums Leben, mehrere tausend wurden verwundet. Es ist bekannt, daß deutsche Firmen den Großteil der irakischen C-Waffen hergestellt haben. Was wurde bisher gegen diese Firmen unternommen?

Nur ein Teil der beteiligten Firmen wurde überhaupt gerichtlich belangt. Wenn ich richtig informiert bin, wurden von der Staatsanwaltschaft in Hessen gegen vier Firmen Ermittlungsverfahren bis hin zum Gerichtsverfahren eingeleitet. Das waren die Firmen Preussag mit Sitz in Hannover, W.E.T. in Hamburg, Karl Kolb in Dreieich und die Firma Pilot Plant. Am Ende verurteilte das Gericht diese Firmen zu lächerlich geringen Strafen oder stellte die Verfahren sogar ganz ein. Vom Giftgasangriff und Mord an Tausenden Kurden war dabei nicht die Rede. Es ging nur um einen »Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz«. Weitere 56 Firmen, die an dem Giftgasprogramm beteiligt waren, kamen nie vor Gericht. Alles in allem eine ziemlich traurige Bilanz.

F: Die Bundesregierung hat mit Recht begonnen, die Juden für ihre Leiden während der Nazi-Herrschaft zu entschädigen. Warum werden die Kurden nicht entschädigt?

Die Bundesregierung hat noch nie Opfer ihrer Politik oder Opfer von Verbrechen deutscher Firmen freiwillig entschädigt. Auch die Entschädigung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ist nur möglich, weil dies nach der Niederlage des Nazi-Regimes unvermeidlich war.

Auch die kurdischen Opfer von Halabja werden nur Entschädigungen erhalten, wenn es den Kurden selbst und ihren Freundinnen und Freunden in der Welt gelingt, für diese Forderung starken internationalen Druck zu organisieren. Das ist bitter, aber so ist es.

F: Sie haben am 24. Januar im Bundestag eine kleine Anfrage eingebracht zu Halabja und zur Beteiligung deutscher Firmen. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Die von SPD und Grünen gestellte Bundesregierung hat uns Ende Februar geantwortet. Ihre Antwort ist zynisch. Die bisherigen Gerichtsurteile seien ausreichend. Wörtlich heißt es in der Antwort: »Eine Mitverantwortung der Bundesregierung für die Vorfälle in Halabja besteht nicht. Wiedergutmachungsleistungen der Bundesregierung wurden und werden daher nicht erwogen.« Weiter heißt es: »Die ausschließliche Verantwortung für die Vorfälle von Halabja liegt bei der irakischen Regierung.«

Damit werden die Operationen gegen die kurdische Bevölkerung in Südkurdistan als ausschließlich innerirakische Angelegenheit eingestuft. Ohne die Hilfe deutscher Firmen und Techniker wäre das irakische Regime aber nicht in der Lage gewesen, das Giftgas zu produzieren. Dieser Teil des Massakers von Halabja wird auch von der rot-grünen Bundesregierung, ebenso wie von der Vorgängerregierung aus CDU/CSU und FDP, ignoriert.

F: Was können die Kurden juristisch gegen die deutschen Firmen bzw. die Bundesregierung unternehmen?

Die Kurden müßten versuchen, Klagen gegen die Bundesregierung und vor allem gegen die beteiligten deutschen Firmen vor internationalen Gerichten einzureichen, z. B. vor europäischen Gerichten. So kann der Druck für eine Entschädigung verstärkt werden. Die Fraktion der PDS hat zu diesem Jahrestag von Halabja einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir den Bundestag auffordern, das Massaker in Halabja als Völkermord im Sinne der UN- Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord zu bewerten. Wenn es uns gelingen sollte, eine Mehrheit für diesen Antrag im Bundestag zu bekommen, so wäre das ein enormer Erfolg. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und ob wir Erfolg haben werden, ist im Augenblick sehr zweifelhaft. Wenn es uns gelingt, Halabja international als ein Verbrechen vom Ausmaß eines Völkermords zu ächten, wäre das zumindest ein politisches Signal. Dieses politische Signal könnte Folgen haben - z. B. für das Strafmaß gegen Firmen, die an solchen Verbrechen mitgewirkt haben oder in Zukunft mitwirken wollen.

Interview: Harald Neuber