junge Welt 15.03.2000

»Sie hat geschrien ... dann fielen Schüsse«

München: Zeugin bestätigte vor Untersuchungskommission Mord an Andrea Wolf

Andrea Wolf wurde von türkischen Soldaten unbewaffnet gefangengenommen, gefoltert und ermordet. Das belegen die Aussagen einer kurdischen Guerillakämpferin, die als Augenzeugin die Ermordung der Deutschen miterlebt hat. Als das kurdische Fernsehen Med-TV den Tod der 33jährigen deutschen PKK-Kämpferin im Oktober 1998 meldete, gründeten Freunde und die Mutter von Andrea Wolf eine Internationale Unabhängige Untersuchungskommission (IUK) zur Aufklärung der Todesumstände von Andrea Wolf und weiterer PKK-Kämpfer in Kurdistan. Auf einer Pressekonferenz in München legte die IUK am Dienstag erste Ergebnisse vor. Erstmals ist es Mitgliedern der IUK gelungen, mit einer Zeugin des Massakers zu sprechen. Der Frau war es während eines Gefechts gelungen, sich zusammen mit drei weiteren PKK-Kämpfern in einem Erdloch zu verstecken und die Gefangennahme der anderen zu beobachten. »Die Stimme von Genossin Ronahi (Kampfname von Andrea Wolf) war voller Angst. Sie hat geschrien, wie jemand, dem man fürchterlich weh tut, den man foltert. Dann fielen Schüsse ... Als wir rauskamen, sahen wir Genossin Ronahi. Wir sahen viele Genossen. Die Genossen waren in einem fürchterlichen Zustand. Viele waren verbrannt. Sie waren von der Folter übel zugerichtet.« Die Zeugin ist bereit, vor einem deutschen Gericht oder dem EU-Gerichtshof für Menschenrechte auszusagen, wenn ihr garantiert wird, daß man sie nicht an die Türkei ausliefert. Durch die Angaben der Zeugin ist die Untersuchungskommission nun im Besitz genauer Kenntnisse über den Tathergang und den Ort des Geschehens. »Ein gerichtsmedizinischer Nachweis der Todesumstände wäre jetzt möglich, wenn die Türkei dazu bereit wäre«, erklärte die Journalistin Inga Rogg von der IUK. Bisher dementieren die türkischen Behörden die Hinrichtung und behaupten, Wolf sei während des Gefechtes gefallen. Unterdessen hat die Mutter von Andrea Wolf die bekannte kurdische Rechtsanwältin Eren Keskin beauftragt, in der Türkei ein Ermittlungsverfahren anzustrengen. Dies ist die Voraussetzung für ein von der IUK angestrebtes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. »Die Aussagen der Zeugin sind geeignet, den Beweis dafür zu führen, daß mit der Tötung von Andrea Wolf auch ein Verstoß gegen das Völkerrecht und die Genfer Konventionen begangen wurde, und daß hier eine extralegale Hinrichtung durch das türkische Militär stattgefunden hat«, erklärte Rechtsanwältin Angelika Lex von der IUK hierzu.
Nick Brauns, München