Tagesspiegel, 14.3.2000

Ausländerrecht auf dem Prüfstand

Der Ruf nach einem Einwanderungsgesetz wird lauter

Die CDU will sich einer geregelten Zuwanderung "nicht verweigern"

Die Idee des Kanzlers hat Begehrlichkeiten geweckt. Nicht nur Computerspezialisten sollen nach dem Willen von Lobbyisten im Ausland angeworben werden dürfen, sondern auch Fachkräfte für Gastronomie, Krankenpflege oder sonstige bedürftige Branchen. Und in der Union wird gar der Ruf nach einem Einwanderungsgesetz laut - jahrelang hatte sie diese Forderung von SPD und Grünen zurückgewiesen. Die FDP holt unterdessen einen Entwurf für ein "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" von 1998 aus der Schublade. Eines scheint klar: Der Vorstoß von Gerhard Schröder (SPD) bringt das Ausländerrecht auf den Prüfstand. Die so genannte Green Card ist für Parteien und Verbände Anlass für eine neue Grundsatzdebatte. "Eine geregelte Zuwanderung über ein Gesetz" könnte sich der neue Chef der Unionsfraktion Friedrich Merz vorstellen. Sein für Rechts- und Innenpolitik zuständiger Vize Wolfgang Bosbach (CDU) sekundiert, die Partei solle sich der Debatte "nicht verweigern". Im Grundgesetz solle der Asyl-Artikel auf eine institutionelle Garantie abgespeckt werden: "Deutschland gewährt Asyl - Näheres regelt ein Bundesgesetz."

Bundesinnenminister Otto Schily hält sich dagegen zurück. Dessen Befürwortern gehe es vor allem um die Einrichtung eines Gremiums, das Quoten festlege. Den Bedarf an Fachkräften könne indes die Wirtschaft selbst am besten bestimmen. Schon vor knapp zwei Jahren hatte der SPD-Politiker im Tagesspiegel einem Einwanderungsgesetz eine Absage erteilt, da "die Grenze der Belastung überschritten" sei.

In der aktuellen Debatte hat der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz Einwände sowohl gegen ein Einwanderungsgesetz als auch gegen eine allzu plakative Green-Card-Regelung. Bei der Suche nach Spitzenkräften der Informationstechnologie herrsche weltweiter Wettbewerb, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung reiche als Lockmittel nicht aus. Schröders Vorstoß sei "vielleicht der erste Schritt zum Einwanderungsgesetz", schätzt Wiefelspütz. Derzeit sei dafür aber die Zeit noch nicht reif. "Das ist Angst besetzt, das ist polarisierend - man sollte Schritt für Schritt vorgehen." Das denkt auch SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Er sieht ein Einwanderungsgesetz als "nicht für so dringlich an", dass es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte.

Weitreichende Vorstöße in der Ausländerpolitik sind bei der SPD derzeit nicht gefragt, die Partei hat ihre Lektion aus der Hessen-Wahl vor einem Jahr gelernt. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft hatte sie der CDU damals eine Steilvorlage geliefert. Jetzt - kurz vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen - will die SPD kein derart heikles Thema forcieren. Schließlich zieht der CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers mit der Losung "Kinder statt Inder" durch die Lande.

Die FDP scheint von den Sprüchen ihres einstigen Regierungspartners nicht viel zu halten. Um nicht den internationalen Anschluss zu verpassen, müssten dringend ausländische Fachkräfte nach Deutschland geholt werden, sagt FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle. Im übrigen könnte auch das Handwerk von einer Neuregelung profitieren. Dagegen warnt Wiefelspütz davor, das Thema nicht mit weiteren Ideen zu überfrachten und die derzeitige Zustimmung für die Green Card - von DGB bis CSU - zu nutzen. "Der Schröder hat ein Denkverbot aufgebrochen. Wir haben die Möglichkeit, hier einen relativ breiten Konsens zu erzielen." Wie viele einen Kompromiss tragen, sollte sich bereits am Montagabend zeigen. Dann woltte Bundeskanzler Schröder bekannt geben, wie viele ausländische Arbeitskräfte die Informationsbranche nach Deutschland holen darf. Am Donnerstag steht das Asylrecht dann im Bundestag zur Debatte.