Neue Zürcher Zeitung, 13. März 2000

Zwei Rüstungsgeschäfte von politischer Tragweite

«Eurofighter»-Bewaffnung und ein neues Transportflugzeug

Die britische Regierung wird in den kommenden Wochen entscheiden, welche zukünftigen Abwehrraketen die «Eurofighter» der Royal Air Force erhalten sollen. Zur Auswahl stehen eine europäische Neuentwicklung und ein amerikanisches Erfolgsprodukt. Gleichzeitig will London ein neues Transportflugzeug beschaffen. Auch hier stehen sich Europa und die USA als Konkurrenten gegenüber. Beiden Geschäften kommt hohe politische Bedeutung zu.

msn. Selten zuvor ist einem anstehenden Rüstungsgeschäft in Europa eine so grosse politischen Bedeutung beigemessen worden wie jenem über die Bewaffnung der britischen Tranche des neuen Kampfflugzeuges «Eurofighter» mit Luft- Luft-Raketen. Im April wird mit dem definitiven Votum von Premierminister Blair gerechnet. Zur Wahl stehen eine Weiterentwicklung der vom amerikanischen Rüstungskonzern Raytheon hergestellten Amraam («advanced medium-range air-to-air missile»), einer seit Jahren auch im Kriegseinsatz bewährten Rakete mittlerer Reichweite, und die erst auf dem Reissbrett bestehende Neuentwicklung durch das europäische Konsortium Matra British Aerospace Dynamics mit der Bezeichnung «Meteor». Sie soll 2008 serienreif sein, eine maximale Geschwindigkeit von Mach 4 erreichen und Ziele auch noch auf eine Distanz von gegen 100 Kilometern bekämpfen können. Die Amraam, die derzeit von 12 Nato-Staaten eingesetzt wird, ist auf eine Einsatzdistanz von 30 Kilometern ausgelegt. Raytheon verspricht, bis 2007 ein Nachfolgeprodukt anbieten zu können, das nicht nur die europäischen Anforderungen erfüllt, sondern auch deutlich billiger wäre als «Meteor».

Gefährdete Schlüsselindustrie In diesem auf 1,6 Milliarden Dollar geschätzten Grossauftrag steckt deshalb soviel politische Sprengkraft, weil die Entscheidung Londons Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen, den inneren Zusammenhalt der Nato und die europäischen Anstrengungen zur Erlangung einer grösseren verteidigungs- und sicherheitspolitischen Kompetenz haben dürfte. Kaufen die in Europa militärisch und sicherheitspolitisch den Ton angebenden Briten als zukünftige Standardbewaffnung ihrer «Eurofighter» das amerikanische Missil, so wird dies wohl das Ende des Konkurrenzprodukts darstellen. Raytheon erhielte dann, so befürchten Rüstungslobbyisten und Regierungsvertreter in Europa, auf Jahre hinaus faktisch ein Monopol bei der Produktion dieser Waffe, der, ähnlich der Flugzeugherstellung, wegen der grossen Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen eine eigentliche Schlüsselstellung innerhalb der Rüstungsindustrie beigemessen wird. «Meteor»-Befürworter warnen davor, dass sich in einem solchen Fall nicht nur der vielgescholtene technologische Graben zwischen Europa und den USA weiter verbreitern werde, sondern auch die dringend angezeigte weitere Effizienzsteigerung der europäischen Rüstungsindustrie gefährdet werde.

Wohl berechtigterweise befürchten die Hersteller des «Eurofighters» auch, dass bei einer amerikanischen Bewaffnung dessen Verkaufschancen ausserhalb Europas als Folge der strikten Lizenzvergaben und Exportrestriktionen Washingtons stark gemindert würde. Denn längst nicht allen Staaten, die am «Eurofighter» Interesse zeigen, wollen die USA uneingeschränkt eines ihrer modernsten Waffensysteme mitverkaufen. Ohne ausreichenden Selbstschutz jedoch ist auch das fortschrittlichste Kampfflugzeug verwundbar.

Die USA versuchen solche Befürchtungen mit Kooperationsangeboten zu kontern. Den Briten wurde in einem Schreiben von Verteidigungsminister Cohen bereits 1998 angeboten, als gleichberechtigter Partner mit Raytheon an der Entwicklung des neuen Missils mitzuarbeiten. Bisher hat diese Umgarnung jedoch keine Früchte getragen - im Gegenteil: Mit Boeing gelang es dem europäischen Konsortium 1999 gar, einen gewichtigen amerikanischen Konzern in das «Meteor»-Projekt einzubinden.

Ganz ähnlich gelagert ist eine weitere, ebenfalls bei der britischen Regierung hängige Beschaffungsvorlage, wobei in diesem Fall die USA die Nase vorn zu haben scheinen. Es geht um den Kauf eines neuen Transportflugzeugs, das in Ergänzung vorhandener Maschinen des taktischen Einsatzes (etwa der C-130 «Herkules» oder der C-160 «Transall») auch für Missionen über weite Strecken eingesetzt werden kann. Acht europäische Luftstreitkräfte hatten sich Mitte der neunziger Jahre auf einen Anforderungskatalog für das neue Flugzeug geeinigt. Bei einem Stückpreis von 80 Millionen Dollar soll es fähig sein, eine Nutzlast von 32 Tonnen über mehr als 4000 Kilometer zu befördern; wettmachen liesse sich mit einem solchen Flugzeug die im Kosovo-Krieg einmal mehr gezeigte fehlende strategische Transportkapazität der Europäer. Airbus will mit der A-400M genau diese Anforderungen erfüllen. Das Flugzeug, das erst in sechs Jahren zur Verfügung stehen wird, soll dank einem überaus robust ausgelegten Fahrwerk fähig sein, auf unbefestigten und sehr kurzen Pisten zu landen und zu starten. Es könnte also über grosse Distanzen hinweg direkt in Krisenregionen Einheiten und Material fliegen und damit das Rückgrat des anlässlich des EU-Gipfels von Helsinki als mögliches Zukunftsprojekt diskutierten integrierten Europäischen Lufttransportkommandos bilden.

Die USA wiederum bieten mit dem C-17 Globemaster III von Boeing und der von Lockheed Martin hergestellten C-130J zwei Flugzeugtypen an, die zwar bereits im Dienst stehen und sich sehr bewährt haben, gleichzeitig aber die von den Europäern formulierten Anforderungen nicht vollumfänglich erfüllen. Die Nutzlast und das Transportvolumen der C-130J - eine Weiterentwicklung des bewährten «Herkules» - ist etwa um die Hälfte zu klein, die C-17 wiederum ist mit einem zuladbaren Gewicht von 77 Tonnen viel zu gross. Der Globemaster III kostet nach derzeitigem Planungsstand zudem mit 200 Millionen Dollar fast dreimal soviel wie der Airbus, was seinen Einsatz unter erschwerten Landebedingungen zu einem teuren Risiko macht beziehungsweise nach einer logistisch aufwendigen Umladeübung auf einem Flugplatz ausserhalb der Krisenzone ruft.

Angst vor europäischen Querelen Für einen kommerziellen Erfolg der A-400M werden nach Schätzungen etwa 300 Einheiten benötigt. Neben Grossbritannien zeigen Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, Spanien und die Türkei Interesse an einem neuen Transportflugzeug; alle Staaten sind mit Firmen am militärischen Entwicklungsbereich von Airbus beteiligt. Dennoch droht Airbus das Nachsehen: Das britische Verteidigungsministerium prüft derzeit intensiv die Möglichkeit, neben seinen 25 neu beschafften C-130J vier C-17 zu leasen, um als «Übergangslösung» die dringend benötigte strategische Transportkapazität der Royal Air Force sicherstellen zu können. Diese macht kein Hehl aus ihrer Boeing-Begeisterung - und manche Stimmen fordern, auch längerfristig auf den Globemaster III zu setzen, statt sich an einer technisch, kommerziell und politisch unsicheren europäischen Eigenentwicklung zu beteiligen, zumal Airbus über keine Erfahrung im militärischen Bereich verfüge. Die US Air Force hat ihre Beschaffungspläne für weitere C-17 bereits um zwei Jahre verschoben, was von Beobachtern als Zeichen dafür gewertet wird, dass man in den USA mit einer britischen Bestellung rechnet.

Sollte sich London tatsächlich - etwa als «Kompensation» für eine «Meteor»-Beschaffung - für den Globemaster III entscheiden, würde dies das Airbus-Projekt empfindlich treffen. Denn ohne die Beteiligung Grossbritanniens wird die A-400M zu teuer, zumal Deutschland seit längerem mit der Möglichkeit liebäugelt, gemeinsam mit der Ukraine die kostengünstigere AN-7X von Antonow zur Serienreife zu bringen.