Saarbrücker Zeitung, 10.3.2000

Der Iran blickt nicht nur nach Westen

Ein islamisches Land festigt seine Rolle als Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten

VON JÜRGEN K. NEUMANN

Politik im Nahen und Mittleren Osten gleicht oftmals Wanderdünen in der Wüste - mitunter nimmt sie bizarre Formen an oder verschwindet wie eine Fata Morgana am Horizont. Der Iran im März des Jahres 2000 ist weder ein Berg aus Sand noch eine Luftspiegelung. Das Land ist politische, kulturelle und wirtschaftliche Wirklichkeit. Dies müsste der deutsche Außenminister Joschka Fischer bei seinem Staatsbesuch im Iran, der am Mittwoch zu Ende ging, beachtet haben. Das Anerkennen der islamischen Realität in einem islamischen Staat ist die Grundvoraussetzung für künftiges Zusammenarbeiten auf dem ohnehin schwierigen Terrain in der Region. Der Zeitpunkt für die Fischer-Visite in Teheran konnte nicht günstiger sein. Erst vor zwei Wochen haben die Menschen zwischen dem Elbrus-Gebirge und dem Persischen Golf bei den Wahlen zum Parlament, der Madschlis, den klerikal-reaktionären Kräften eine deutliche Abfuhr erteilt. Mit überwältigender Mehrheit haben sich vor allem junge Männer und Frauen - im Iran sind alle über 16 Jahren wahlberechtigt - für mehr Offenheit und Pluralismus ausgesprochen. Sie haben dadurch dem als liberal geltenden Staatspräsidenten Mohammed Chatami enorm den Rücken für sein innen- und außenpolitisches Handeln gestärkt. Der als gemäßigt geltende Geistliche Chatami gilt nach westlichem Denken als Symbol für Liberalität: Chatami steht für Zukunft. Sichtbare Zeichen des Tauwetters aus Teheran waren bisher: Zusammenarbeit mit Washington bei der internationalen Terrorismus-Bekämpfung und die Rückkehr aller EU-Botschafter in die iranische Hauptstadt. Allerdings blieb Deutschland noch bis vor wenigen Wochen von diesen Entspannungssignalen ausgeschlossen. Stichworte der deutsch-iranischen Spannung: Kopfgeld auf den indo-britischen muslimischen Schriftsteller Salman Rushdie, Mykonos-Prozess und der Fall Hofer. Die neue Führung in Teheran hat mit Hofers Freilassung im Januar und moderaten diplomatischen Tönen deutliche Zeichen der Entspannung gesetzt.

Die rotgrüne Bundesregierung hat diese Zeichen erkannt und mit dem Fischer-Besuch reagiert. Staatspräsident Chatami, der im Juli zu einem Besuch in Deutschland erwartet wird, und Außenminister Kamal Charrasi brachten ganz deutlich zum Ausdruck, was sie unter einem Dialog verstehen: "Die strategische Politik Teherans zielt darauf ab, die Entspannung in einem Klima des Verständnisses und des gegenseitigen Respekts mit allen Ländern der Erde zu suchen." Wer glaubt, der Iran würde dem Westen in die offenen Arme rennen, der leidet an politischem Realitätsverlust. Teheran will ein Ende der außenpolitischen Isolierung, freilich ohne dabei einen wirtschaftlichen und kulturellen Imperialismus aus dem Westen, vor allem aus den USA, zu importieren. Hier sei erwähnt, dass der Begriff "Reformer" immer ein wenig unterstellt, dass im Iran eine politische Richtung gesiegt hat, die möglichst schnell eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Muster einführen will. Das Gegenteil ist im Iran der Fall: Das Land bleibt auch künftig ein islamischer Staat auf der Grundlage des Korans.

Um ein stabiler islamischer Staat in der ohnehin brüchigen Region zu bleiben, braucht das Land Unterstützung von außen, um sich im Inneren die Freiheiten der Demonstration, der Rede und der Presse leisten zu können. Im Iran leben 62 Millionen Menschen, davon ist die Hälfte jünger als 25 Jahre. Viele haben keine Arbeit und sind Analphabeten. Deutsche Hilfe - keine fordernde, sondern diskrete - kann nur bedeuten: Ansiedlung von Firmen, aber keine, die Waffen irgendwelcher Art herstellen. Gebraucht werden Kleinunternehmen in den Bereichen Abwasser, Bewässerung und Hygiene sowie in der Metallverarbeitung. Im Bildungsbereich wären Lehrer und Schulgebäude vonnöten.

Der Iran im 21. Jahrhundert sucht aber nicht nur in Richtung Europa nach neuen, friedlichen Wegen. Mit dem einstigen Golfkriegs-Gegner Irak wurde ein Austausch der Gefangenen vereinbart. Gleichzeitig können die Schiiten aus dem Iran wieder ihre heiligen Stätten in Nadschaf und Kerbela im Irak besuchen. Wichtige Verträge über kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, Syrien und der Türkei wurden geschlossen. Neue Öl- und Gaspipelines werden nach Pakistan und Indien verlegt. Zunehmend bemüht sich Teheran um eine friedliche Lösung in Afghanistan und - im Hintergrund - im israelisch-palästinenesischen Konflikt. Von außerordentlicher Bedeutung sind aber die Abkommen mit den islamischen Staaten im Kaukasus und in Zentralasien. Einst lagen die Staaten von Aserbaidschan über Turkmenistan bis Kasachstan im Hinterhof der Sowjetunion. Heute kommt ihnen aufgrund ihrer gigantischen Öl- und Gasvorkommen ein überragendes geo-strategisches Gewicht zu. Der Iran, als zentrale Regionalmacht, erweckt gerade dort durch seine offensive Politik jahrhundertalte Handels- und Karawanenwege zu neuem Leben, die sich bald zu "Global-Highways" wandeln. Hier wäre deutsche Informationstechnologie gefragt.