Die Welt, 9.3.2000

Fischers Kardinalfehler

Doppelmoral und mangelnde diplomatische Professionalität kennzeichnen die Amtszeit des beliebtesten deutschen Politikers. Sieben Kapitel aus dem Rotbuch des grünen Außenministers

Von Michael J. Inacker

Wenn Außenminister Joschka Fischer seine Rückkehr aus dem Iran so inszeniert, als empfange er sich selbst als Staatsgast, dann scheint es einsam um ihn zu werden. Da ihn schon keine Journalisten auf seine heikle Mission in den Iran begleiten durften, sollten sie wenigstens bei seiner Rückkehr am Dienstagabend vom Erfolg hören. Wie einst in der Sowjetunion gab es großen Bahnhof für einen heimkehrenden Spitzenpolitiker auf dem kleinen Flugfeld Berlin-Tegel. Entsprechend war das Vorfeld kameratauglich ausgeleuchtet: "Falls die Kollegen vom Fernsehen Aufnahmen machen wollen", sagte ein Sprecher des Außenamtes. Aufnahmen wovon? Davon, wie der Minister die kleine Challenger-Maschine der Luftwaffe verlässt und sich auf den Weg ins Gebäude macht. Nicht in irgendein Gebäude, sondern in das "Empfangsgebäude für Staatsgäste", denn dorthin hatte Fischers Pressereferat die Journalisten geladen, und dort warteten erneut Kameras hinter einer Absperrung auf ihn.

Der Minister legte los; in einer Rhetorik, die sich nicht sonderlich von der Worthülsensprache seiner Vorgänger unterscheidet. Sein Besuch in Teheran sei geprägt gewesen vom "Geist konstruktiver Zusammenarbeit". Man müsse die deutsch-iranischen Beziehungen mit "Realismus und Pragmatismus" betreiben. Realismus sei, so lautete dann die Nachhilfe, "das Machbare anzustreben".

Nur mühsam gelingt es dem Vertreter einer Partei, die Außenpolitik einst vom moralischen Hochsitz betreiben wollte, das Konzept für seine Kontakte mit dem Iran oder auch Russland zu erläutern. Der Iran steht erst am Anfang einer Öffnung und der Abkehr vom Terrorismus und arbeite, so der BND noch vor kurzem, an einem Programm mit Massenvernichtungswaffen samt Raketen mit Reichweiten bis nach Europa. Und Russland hat in Tschetschenien genau jene Politik vollzogen, gegen die die Nato mit Fischers Unterstützung im Falle Serbiens noch Krieg geführt hat.

Fischers politische Freunde und der Koalitionspartner SPD sehen es mit wachsender Sorge, dass der Außenminister an seiner doppelten Mission zu scheitern droht. Für SPD-Generalsekretär Franz Müntefering ist Fischer der wichtigste Mann, wenn es um das koalitionsinterne Krisenmanagement geht. Doch auch in der SPD-Zentrale heißt es: "Fischer hat zwar die Macht, aber keine Zeit." Denn den Führungsstreit in seiner Partei hat er nicht mehr so im Griff wie früher, und in der Außenpolitik lassen sich inzwischen sieben Kardinalfehler zu Fischers Rotbuch zusammentragen.

1. Doppelte Moral

Selbst in der Realpolitik angekommen, spürt der grüne Strippenzieher die wachsende Distanz zu seiner Partei. Wie im Kosovo muss er bei einigen Themen entweder zu einer drastischen Rhetorik greifen oder aber mit Rücksicht auf den grünen Bauch seiner Partei sachfremde Entscheidungen treffen. Mit seiner Menschenrechtsrhetorik hat er eine Messlatte gelegt, an der er im Falle der notwendigen Realpolitik gegenüber Russland, China und jetzt gegenüber dem Iran zu scheitern droht. Und die von ihm mitbetriebene Entscheidung zur Isolierung von Haider-Österreich, hat zwar die grüne Klientel befriedigt, aber die EU in eine Glaubwürdigkeits-Sackgasse und Fischers Diplomaten an den Rand der Verzweifelung gebracht. "Erstes Jahr auf der Diplomatenschule", meint ein Europa-Spezialist des Außenamtes, "man muss sich immer eine Hintertür zur Rückkehr an den Gesprächstisch offen halten".

2. Mangelnde Professionalität

Dilettantisch hätten Fischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Kandidatur von Finanzstaatssekretär Koch-Weser für den Chefposten des Internationalen Währungsfonds (IWF) betrieben, heißt es selbst im Auswärtigen Amt. Offenbar seien die ablehnenden Signale aus Washington falsch verstanden worden. So aber wurden zunächst alle 15 EU-Mitglieder - teilweise gegen ihre Überzeugung - von der deutschen Außenpolitik auf Koch-Weser eingeschworen. Dass der amerikanische Finanzminister Summers öffentlich und beharrlich bei seinem "nicht geeignet" blieb, wurde übersehen. Dass ein amerikanischer Präsident seinen Finanzminister gerade in Wahlkampfzeiten nicht öffentlich bloßstellen kann, wurde nicht geglaubt. So ließ man die komplette EU in einen vermeidbaren Konflikt mit den USA laufen. Ein "außenpolitischer Schaden, der noch nicht absehbar ist", sagt der neue CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz. Dilettantismus? Auf diese Frage des "Spiegels" antwortete Fischer im Verlautbarungston: "Das muss ich ganz energisch zurückweisen."

3. Europapolitik als Sprengsatz für die Nato

Unter Fischers Ägide wurde der Hegemonievorwurf an die USA in Deutschland und Europa wieder salonfähig. Von ihm werden Illusionen eines selbstständigen europäischen Krisenmanagements mit eigenen europäischen Streitkräften geweckt. Dies beinhaltet die Gefahr, dass der Aufbau einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsinitiative (ESDI) nicht mit, sondern gegen die USA betrieben wird. Das Streben nach Eigenständigkeit nimmt teilweise skurrile Formen an: Anstatt für den Transport deutscher Hubschrauber in das Krisengebiet von Mosambik die US-Luftwaffe um Hilfe zu bitten, werden Transporter von der Ukraine gechartert. Ein hochrangiger Nato-Mitarbeiter sagte im Februar bei einer Tagung der Bertelsmann-Stiftung im Berliner Außenamt mit deutschen Spitzendiplomaten: "Die strategische Begründung für ESDI bleibt unklar. Plausible Szenarien für einen militärischen Alleingang der EU liegen nicht vor."

In der Nato wird außerdem darauf hingewiesen, dass eine europäische Verteidigungsidentität ohne Stärkung der eigenen militärischen Fähigkeiten aus Sicht der USA unglaubwürdig und damit für die transatlantischen Beziehungen eher schädlich ist. Die Europäer wollen politisch mehr, als sie militärisch einhalten können, denn sie streichen systematisch ihre Wehretats zusammen. Eigene, mangelnde Fähigkeiten werden dann durch neue, klangvolle Institutionen ersetzt. Gleichzeitig hat der Kosovo-Krieg gezeigt: Die zum Erhalt der Kriegskoalition und der Akzeptanz des Einsatzes auch bei den Grünen notwendige Vorgabe, eigene Verluste und Opfer auf der serbischen Seite weitgehend zu vermeiden, zwang zum Einsatz von Präzisionswaffen, über die nur die USA in ausreichendem Umfang verfügen.

Fischer schürt zwar die Vorstellung, "die Fähigkeit zum selbstständigen Krisenmanagement muss nicht mit wesentlich höheren Kosten verbunden sein". Doch sein eigener Berater für das deutsch-amerikanische Verhältnis im Außenamt, Karsten Voigt, warnt: "Wer nichts einzubringen hat, wird als Partner nicht ernst genommen." Zugleich räumt Voigt mit einer weiteren grünen Vorliebe auf: "Man kann militärische Stärke nicht durch Pochen auf Zivilmacht aufwiegen."

4. Die wachsende Technologielücke zwischen Europa und den USA

Während der amerikanische Verbündete eine nationale Raketenabwehr (NMD) aufbaut, um sich vor allem gegen neue Raketenbedrohungen aus dem Mittleren Osten und aus Asien zu schützen, will man das Projekt in Berlin bis heute nicht zur Kenntnis nehmen. Die Folge: Die USA betreiben das Vorhaben ohne die Europäer, obwohl diese viel näher an den Krisenregionen liegen. Die Europäer haben bisher noch nicht einmal eine gemeinsame Position gefunden, und national wird bislang eher Kritik geübt. Diese Ablehnung entfremdet die USA eher, als dass sie Washington beeindruckt, denn Bonn und Paris kritisieren, ohne selbst Nennenswertes gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu tun. Erst jetzt setzen sich der Staatssekretär im Außenamt, Wolfgang Ischinger, sein Kollege Walther Stützle aus dem Verteidigungsministerium sowie Schröders Sicherheitsberater Michael Steiner zusammen, um noch zu retten, was zu retten ist.

5. Eine Rüstungsexportpolitik, die Deutschland isoliert

Bei diesem Thema tickt in der rot-grünen Koalition eine Zeitbombe. Noch verschiebt man die als Nächstes anstehende Entscheidung über den Export der Leopard-Kampfpanzer in die Türkei auf die Zeit nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl. Die SPD-Wehrexpertin Verena Wohlleben hofft auf die Einsicht, dass Exportpolitik auch krisenstabilisierend ist: "Lieber schicken wir deutsche Kampfpanzer als deutsche Wehrpflichtige zum Einsatz in die Türkei." Doch nach Informationen der WELT zeichnet sich bereits ab, dass dieses für die deutsche Wehrtechnikindustrie und die außenpolitische Glaubwürdigkeit Berlins wichtige Geschäft nicht zu Stande kommt. Fischers Außenministerium hat dem Kanzleramt und dem Verteidigungsministerium signalisiert, dass hier aus Rücksichtnahme auf den grünen Koalitionspartner kein Kompromiss möglich ist. Fischers Staatssekretär Chrobog hofft noch auf eine verstärkte europäische Rüstungskooperation, doch tatsächlich wollen ausländische Unternehmen keine Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen, die im immer wichtigeren Exportgeschäft oft passen müssen.

6. Die Bundeswehr wird als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik infrage gestellt

Noch in ihren letzten Parteiprogrammen befürworteten die Grünen die Abschaffung der Bundeswehr. Jetzt ist ihr Außenminister mit seinem Kurs der weltweiten Durchsetzung von Menschenrechten auf wirksame Streitkräfte zur Unterstützung angewiesen. Die Folge: Die Bundeswehr erhält zwar immer mehr politische Aufträge und gleichzeitig - weil nur dies der grünen Parteibasis vermittelbar ist - weniger Geld. Scharping versucht die Quadratur des Kreises: Erhalt der Wehrpflicht und eines sicherheitspolitischen notwendigen Umfangs von rund 300 000 Mann bei gleichzeitiger besserer Ausrüstung und weniger Mitteln. Der Außenminister müsste als Hauptauftraggeber eigentlich den Verteidigungsminister unterstützen. Doch Fischer, so wird im Verteidigungs- ministerium geklagt, lässt Scharping allein um die notwendigen Milliarden kämpfen und fordert jetzt eine Berufsarmee, um so aus der finanziellen Klemme zu kommen.

7. Mangelndes Krisenmanagement

Gerade bei einem der Lieblingsthemen grüner Außenpolitik - der Entwicklungs- und Afrikapolitik - werfen Hilfsorganisationen der Bundesregierung Konzeptionslosigkeit vor. So sei die Katastrophe in Mosambik trotz rechtzeitiger Warnungen in Berlin nicht ernst genommen worden. Das Deutsche Rote Kreuz kritisiert: "Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung sehr viel früher eingestiegen wäre, denn dann hätten wir sehr viel effektiver helfen können. Diese Katastrophe ist viel zu spät wahrgenommen worden." Fischers Vorgänger im Amt, Klaus Kinkel (FDP), wirft Fischer vor, dass er sich nicht grundsätzlich um Afrika kümmert. Er reagiere nur dort, "wo die Scheinwerfer der Welt drauf gerichtet werden und er seine grünen Kreisverbände befriedigen kann". Fischer selbst kündigte inzwischen eine Reise nach Mosambik an - für Ende März.