FACTS (CH) 9.3.2000

Lächel-Offensive

Die türkische Polizei bemüht sich, von ihrem Image als Schlägerbande wegzukommen.

Von Gunnar Köhne

Für Tekin Akin ist das gute Verhältnis zwischen Polizei und Bürger eine einfache Gleichung: Wenn jeder seiner 2500 Polizisten täglich drei Bürgern «Guten Morgen» sagte, hätte man an einem Tag 7500 Herzen für die Polizei gewonnen. Darum hat der Polizeichef der Ägäis-Provinz Aydin seinen Beamten den «Guten Morgen»- und «Lächel»-Befehl gegeben. «Die Polizei wieder mit dem Volk versöhnen», nennt Akin das: «Wir zeigen das andere Gesicht der Polizei.»

Für die Türken sind das ungewohnte Worte aus dem Mund eines Ordnungshüters. Bislang kennen sie ihre Polizei vor allem so, wie sie sich vor zehn Tagen gegen friedliche kurdische Demonstranten in Diyarbakir zeigte: wild drauflos prügelnd und mit Wasserwerfern um sich spritzend. Wer eine Uniform trägt, hat in der Türkei das Recht, für Strafmandate zweimal zu kassieren, er darf umsonst essen, an jeder Warteschlange vorbeigehen und alle duzen. Wem das nicht gefällt, der findet sich schnell auf einer Polizeiwache wieder, wo man im besten Fall stundenlang ohne Begründung festgehalten wird.

Obdachlose, Strassenkinder, linke Studenten und kurdische Aktivisten laufen dagegen Gefahr, misshandelt zu werden, wenn sie erst einmal wegen eines Vergehens auf einer Wache landen: Ohrfeigen, Tritte und Elektroschocks sind im türkischen Polizeigewahrsam «weit verbreitet», heisst es in einem Uno-Bericht. Vor sechs Jahren wurde ein Mann in der «Anti-Terror-Abteilung» der Polizei Aydin zu Tode gefoltert. Die verantwortlichen Beamten wurden zunächst zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, mittlerweile wurden die Urteile wegen Verfahrensfehlern aufgehoben.

Alles Vergangenheit, sagt der erst zwei Jahre amtierende Aydiner Polizeichef Akin und verweist auf die für seine Untergebenen obligatorische Unterweisung im Fach «Menschenrechte». Wer das Polizeipräsidium in Aydin betritt, wird von einer übertrieben lächelnden Rezeptionistin mit «Herzlich willkommen» begrüsst. Freundliche Farben und Blumentöpfe zieren die Gänge, statt Tee gibt es wässrigen Cappuccino aus einem Automaten. In den Vorgärten der Polizeiwachen wurden Spielplätze eingerichtet, die Polizei unterstützt ein Resozialisierungsprojekt für jugendliche Delinquenten. Wer hierher kommt, um einen Pass zu beantragen, bekommt nicht nur ein Lächeln geschenkt, sondern auch die Zusage, dass das Dokument so rasch wie möglich und nicht erst - wie sonst üblich - in einigen Monaten abholbereit ist.

Für so viel Bürgernähe erhielt der Polizeidistrikt Aydin im vergangenen Jahr eine Auszeichnung des «Instituts für türkische Qualitätsstandards». Diesem Standard versuchen jetzt andere Polizeidirektionen nachzueifern. Kurz nachdem die Türkei im Dezember den EU-Kandidatenstatus verliehen bekam, mussten die Polizisten der Stadt Bursa einen Kurs «Wie verhaftet man in Europa?» besuchen. Und in Izmir wurde vor drei Wochen die Uno-Menschenrechtserklärung an 10 000 Polizisten verteilt.

Auch ausländische Hilfe bei der Ausbildung wird neuerdings wieder ins Land gelassen. Vergangene Woche landete ein belgischer Kriminalexperte in Ankara, um höheren Polizeibeamten Nachhilfe in internationaler Polizeizusammenarbeit zu erteilen. Die Ausbildung der Polizisten in der Türkei ist nach Ansicht eines EU-Diplomaten «katastrophal».

Die Kandidaten der einfachen Polizeischule haben nur die - jetzt acht-, früher fünfjährige - Volksschule besucht, sie stammen aus armen, nicht selten auch aus kriminellen Milieus. Nach nur neun Monaten Ausbildung bekommen sie Pistole und Uniform ausgehändigt. Die Vermittlung moderner Verhörmethoden gehört nicht zu den Stärken der Ausbildung. Es überwiegt immer noch die Ansicht, Schläge und Folter brächten nicht nur bei Terroristen schnelle Geständnisse.

In Manisa gestand vor zwei Jahren ein Mann, seinen verschwundenen Vater getötet zu haben. Der von den Verhören sichtbar gezeichnete Mann zeigte sogar die Stelle, an der er ihn angeblich in einen Fluss geworfen hatte. Einen Tag später tauchte sein Vater wieder auf - er war ein paar Tage bei Verwandten gewesen.

«An diesen Methoden hat sich auch in Aydin nicht viel geändert», beklagt Süleyman Mutlu, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins IHD in Aydin, «es reicht nicht, nur die Wände neu zu streichen.» Er holt ein Schriftstück hervor: «Das ist die Zeugenaussage eines jungen Mannes, der am 15. Februar auf einer Polizeiwache in Aydin die ganze Nacht geschlagen worden ist. Sieht so die neue Polizei aus?», fragt er. «Wir wurden nie gefragt, wie wir uns eine Reform vorstellen.»

Polizeireformer Tekin Akin, ein ehemaliger Touristenführer, spricht gerne von «Controlling». Das klingt modern. Dahinter steckt aber offenbar noch die alte türkische Polizeiroutine: Den FACTS-Reporter liess er in Aydin auf Schritt und Tritt von einer Zivilstreife überwachen.