Frankfurter Rundschau, 8.3.2000

Kommentar

Teheraner Fischerzug

Selbstbewusste europäische Politiker tun gut daran, sich mit eigenem Augenmaß an die Realität in Iran anzunähern

Von Karl Grobe

Die deutsche Industrie, der deutsche Handel frohlocken. Die Fälle Mykonos und Hofer sind "abgehakt", Iran hat kraft steigender Ölpreise wieder genügend Devisen, um mehr Deutsches zu kaufen, und Außenminister Joschka Fischers Zug nach Teheran bietet den allerschönsten Handelswunschträumen Material. Der Minister hat denn auch den demokratischen Wahlprozess artig gelobt und - was den iranischen Hintermännern oder Bejublern des Attentats im Berliner Restaurant "Mykonos" nicht oft genug gesagt werden kann - die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive betont. Alles auf gutem Wege also? Das wäre zu wünschen. Die Demokratisierung Irans hat gerade erst begonnen, sie ist vor Rückschlägen nicht sicher, wie die Reaktionen auf die belgischen Ermittlungen gegen Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zeigen. Wenn wir nicht irren, waren es die Stimmen der iranischen Konservativen, die Belgiens Regierung wegen einer Justizmaßnahme geradezu die Pest an den Hals wünschen. Diese Reaktion zeigt die Länge des Weges an, den Iran vor sich hat, sofern seine maßgebenden Kräfte ihn wirklich gehen können und wollen.

Es ist gewiss nicht falsch, die Neuerer zu ermutigen. Zu der Illusion, sie wären dem Ziel bereits nahe, darf das nicht führen. Und auch dieser Aspekt sollte bedacht werden: Selbstbewusste europäische Politiker tun gut daran, sich mit eigenem Augenmaß an die Realitäten anzunähern und nicht alles den Schwarz-weiß-Interpreten etwa in Washington zu überlassen. Den Akteuren der iranischen Veränderung würde solches nützen.