junge Welt, 8.3.2000

»Freiheit für Leyla Zana«

Proteste verhallten bislang ungehört: Kurdische Abgeordnete bleibt weiter in türkischer Haft

Mit Leyla Zana wurde 1991 nach der Parlamentswahl in der Türkei die erste Frau als Abgeordnete in der Geschichte Kurdistans und des türkischen Parlaments vereidigt. Im Wahlkampf hatte Leyla Zana die Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan thematisiert. Bei ihren Wahlreden wurde sie umjubelt und - mit 45 000 Stimmen auf Platz eins der Liste - ins Parlament gewählt. Selbstbewußt und provokativ trat sie in den traditionellen kurdischen Farben auf. Auch an jenem Tag trug sie ein Haarband in grün-rot-gelb. Als man ihren Namen aufrief, wurde es still im Saal. »Die wenigen Meter von meinem Sitz zum Podium erschienen mir unendlich lang«, erinnerte sie sich später. Leyla Zana und ihr Kollege Hatip Dicle wagten es, diese feierliche Zeremonie, in der die Türkische Republik ausschließlich sich selbst feierte, zu stören. Sie erweiterten den Eid um einen Zusatz in türkischer und kurdischer Sprache: Sie versprachen, für ein geschwisterliches Zusammenleben des kurdischen und türkischen Volkes unter demokratischen Bedingungen einzutreten. Damit wurde Leyla Zana in ihrer kurdischen Heimat zur Volksheldin, in der Türkei aber zur Staatsfeindin Nummer eins.

Der damalige Staatspräsident Turgut Özal stimmte zu, daß die kurdischen Abgeordneten, unter ihnen auch Leyla Zana, eine Vermittlerfunktion bei der Lösung des Konfliktes im Südosten der Türkei wahrnehmen sollten. Den Abgeordneten brachte das trotzdem eine Reihe von Strafverfahren ein. Anfang März 1994 wurde die parlamentarische Immunität Leyla Zanas und zehn anderer Abgeordneter aufgehoben. Kurze Zeit später wurden sie verhaftet. Leyla Zana wurde wegen Hochverrats angeklagt, der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe. Es begann ein Verfahren, das Amnesty International (ai) als »Gesinnungsprozeß« bezeichnete. Aufgrund internationalen Drucks wurde die Anklage wegen Hochverrats fallengelassen und Leyla Zana wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft - für die nicht der geringste Beweis erbracht werden konnte - am 8. Dezember 1994 zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Die Verurteilung Leyla Zanas zog eine Welle internationaler Proteste nach sich. Die Initiative »Freiheit für Leyla Zana« wurde gegründet und startete die Aktion »Ein Tag für Leyla Zana«. Ziel der Kampagne war es, entsprechend der etwa 4 745 Tage Haftdauer, Frauen zu finden, die jeweils einen Tag für die Kurdin deren Gefängnisstrafe absitzen. Vor drei Jahren, am 8. März 1997, hatten Frauen aus vier Kontinenten, darunter 15 europäischen Ländern, angeboten, sich für Leyla Zana inhaftieren zu lassen. Ende November 1997 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Strasbourg die Umstände der Verhaftung Leyla Zanas als Verletzung der europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt. 1998 forderte das EU- Parlament die Freilassung Zanas und aller anderen politischen Gefangenen. Das nahm die inhaftierte Kurdin zum Anlaß, erneut unbequeme Frage zu stellen: »Wann wird Europa aufhören, bei Beziehungen zur Türkei Prioritäten auf die Ökonomie zu setzen?« Sie fragte, ob denn alle EU-Beschlüsse in der Vergangenheit wirklich konsequent verfolgt worden seien?

Nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden im Februar 1999 und dessen Inhaftierung in der Türkei trat Leyla Zana spontan in den Hungerstreik. »Ich hoffe, die Verantwortlichen des türkischen Staates begreifen die Friedensbemühungen Abdullah Öcalans und lassen diese nicht unbeantwortet«, schrieb sie in einem Brief aus dem Gefängnis. Es sei klar, daß es nicht von heute auf morgen, durch eine einzige Regung, Frieden gebe. »Die Schmerzen eines solchen Friedens werden vielleicht schlimmer sein als die Schmerzen einer Geburt, trotzdessen habe ich meine Hoffnungen auf einen Frieden nicht verloren.«

Trotz des EuGH-Beschlusses ist Leyla Zana nach wie vor inhaftiert. Am heutigen Internationalen Frauentag wird weltweit an die mutige Kurdin in der Haft erinnert und ihre Freilassung und vollständige Rehabilitation gefordert.

Birgit Gärtner