junge Welt, 7.3.2000

Frauenkonferenz unerwünscht

Türkei ließ internationale Antikriegstagung in Istanbul platzen

Die jüngsten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei belegten, daß die Türkei nicht bereit sei, die Bedingungen einzuhalten, die sowohl an ihren Status als EU- Beitrittskandidat als auch an die Lieferung des Testpanzers geknüpft worden seien. Zu dieser Einschätzung kam die GAL- Bürgerschaftsabgeordnete Heide Simon auf einer Pressekonferenz Ende vergangener Woche im Hamburger Rathaus. »Es war wohl ein Fehler, solche Zugeständnisse gemacht zu haben«, schlußfolgerte die Grünen-Politikerin.

Anlaß für die Pressekonferenz war der vierwöchige Aufenthalt der Mitarbeiterin der humanitären Organisation Heyva Sor a Kurdistane (Kurdischer Roter Halbmond) und Mitbegründerin des Hamburger Unterstützungskomitees der Istanbuler Samstagsmütter, Hamide Scheer, in Istanbul. Die Hamburger Menschenrechtlerin wollte dort unter der Schirmherrschaft Heide Simons und deren Parteikollegen Mahmut Erdem als Delegierte an der Internationalen Frauen- Friedenskonferenz teilnehmen. Ein breites Bündnis verschiedener kurdischer und türkischer Frauenorganisationen und Einzelpersonen hatte die Organisation für die Konferenz, die am 19. Februar in Istanbul beginnen sollte, übernommen. Darunter Gewerkschaftsfrauen, die Friedensmütter, die Rechtsanwältin Eren Keskin, Mitinitiatorin des Projektes zur Unterstützung von im Polizeigewahrsam sexuell gefolterten Frauen, sowie Schriftstellerinnen und Journalistinnen.

Eingeladen waren etwa 200 Frauen aus aller Welt: die argentinischen Madres de Plaza de Mayo, die russischen Soldatenmütter, irische, baskische und palästinensische Frauen, vergewaltigte Frauen aus Jugoslawien und Gewerkschaftsfrauen aus ganz Europa. Sie alle wollten über die spezifischen Kriegserfahrungen von Frauen sowie über Lösungsmöglichkeiten für bewaffnete Konflikte aus Frauensicht diskutieren. Doch die türkischen Behörden verweigerten die Genehmigung für die Konferenz. Sie mußte abgesagt werden.

Neun Frauen aus Italien, Frankreich und Finnland reisten trotzdem nach Istanbul. Sie verfaßten gemeinsam ein Protestschreiben gegen die Behinderung der Konferenz durch die türkischen Behörden. »Für uns ist die Konferenz nicht verboten, sondern nur aufgeschoben. Wir werden wiederkommen«, versprachen sie den türkischen Politikern in einem offenen Brief. Hamide Scheer war nach Istanbul gereist, um sich an den Vorbereitungen der Konferenz zu beteiligen. Doch da sie an einer Demonstration des Istanbuler Menschenrechtsvereines am 12. Februar teilnahm, wurde sie wie knapp vierhundert weitere Teilnehmerinnen festgenommen. Zwar blieben ihr als deutscher Staatsangehöriger die stundenlangen Verhöre erspart, die viele der Festgehaltenen über sich ergehen lassen mußten, doch auch sie wurde bis in die frühen Morgenstunden des kommenden Tages auf der Polizeistation festgehalten.

»Im vergangenen Jahr hat sich einiges geändert in der Türkei«, so die Einschätzung Hamide Scheers. »Früher liefen solche Verhaftungen mit Bedrohungen und Gewaltanwendung ab. Heute werden sogar alte und kranke Menschen von den Verhören ausgenommen. Auf der anderen Seite wird aber immer auch noch gefoltert. Eine der Demonstratinnen, die Organisatorin der Istanbuler Friedensmütter, wurde mehrere Tage festgehalten und bei den Verhören schwer mißhandelt.«

Hamide Scheer wird am heutigen Dienstag im Rahmen des Kurdistan-Cafés über die Hintergründe des Verbots der Frauenkonferenz und die politische Situation in der Türkei und in Kurdistan berichten. Die Veranstaltung findet um 20 Uhr in der B 5, Brigittenstraße 5 statt.

Birgit Gärtner, Hamburg