Mannheimer Morgen, 2.3.2000

Wut in Bremen über Asylmissbrauch

Senator lässt Kurden abschieben, die sich als Libanesen ausgaben und abkassierten

Von unserem Korrespondenten Thomas Wolgast (Hamburg/Bremen)

"Das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein", unkte gestern Rolf Bornhöft, Leiter der Ausländerbehörde in Hamburg. Der spektakuläre Fall von Asylmissbrauch durch kurdische Großfamilien in Bremen hat die Behörden alarmiert. Die Elbe-Metropole hat in diesem Zusammenhang ein zusätzliches Problem: Nicht wenige der rund 3200 in Hamburg lebenden Asylbewerber aus afrikanischen Ländern operieren ebenfalls mit ungeklärten Identitäten. "Dass sich Flüchtlinge aus dem Schwarzen Kontinent bei uns melden und ihre Pässe angeblich verloren haben, das ist schon fast Normalität", berichtet Bornhöft. "Und seltsamerweise wollen sie immer aus Ländern kommen, die von Bürgerkriegen betroffen sind."

In Bremen hatten sich zwischen 1986 und 1992 Asylbewerber gemeldet, die angeblich aus dem damals von Krieg verwüsteten Libanon gekommen, tatsächlich aber Türken kurdischer Abstammung waren. Über Pässe verfügten sie in der Regel nicht, die seien verbrannt oder sonstwie verloren gegangen, berichteten die Flüchtlinge, die in der Regel arabisch sprachen. Die meisten der Eingereisten wurden zwar als Asylbewerber nicht anerkannt, erhielten aber Duldungen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Libanon sich weigerte, die Flüchtlinge als eigene Staatsbürger anzuerkennen und zurückzunehmen. Rolf Bornhöft: "Der Libanon war schon immer schwierig, wenn es um die Ausgabe von Ersatzpässen ging."

Während die Flüchtlinge deshalb immer wieder mit Aufenthaltsduldungen versehen wurden, vermehrten sich ihre Familien in Bremen über die Jahre auf wunderliche Weise. Immer mehr Verwandte zogen nach. Die meisten der Familien, insgesamt rund 500 Personen, lebten von der Sozialhilfe. Nach den jüngsten Berechnungen steht fest, dass allein 181 von ihnen (so viele Fälle wurden bis jetzt geprüft) die öffentlichen Kassen in Bremen um 8,9 Millionen Mark betrogen haben.

Bremens Innensenator Bernt Schulte (CDU) hat schnell gehandelt: Anfang dieser Woche sind bereits 24 Frauen, Männer und Kinder, unter ihnen eine Großfamilie mit elf Personen, in die Türkei abgeschoben worden. Der Senator: "Wir werden zügig handeln." Die weitverzweigten Familien stammen aus Südostanatolien, zum Beispiel aus der Stadt Mardin und ihrer Umgebung.

Auf die Spur des Betrugs waren die Ermittlungsbehörden gekommen, als 1998 im nordrhein-westfälischen Soest ein türkischer Kurde einreiste und um Asyl nachsuchte. Seinen Pass lieferte er bei den zuständigen Behörden zur Bearbeitung des Verfahrens ab. Dann verschwand er. Einige Zeit darauf meldete er sich in Bremen und gab sich als Libanese aus. In diesem Fall kamen die Behörden dem Mann auf die Spur, vermutlich über das erst seit fünf Jahren bundesweit eingeführte Fingerabdruck-System AFIS - jeder Asylbewerber ist seitdem verpflichtet, seinen Fingerabdruck in den Asylpapieren zu hinterlassen. Über Computer ist es kurzzeitig möglich, herauszufinden, ob der angeblich neue Bewerber sich nicht schon längst anderswo angemeldet hat.

Die Behörden in Bremen halten sich derzeit mit Informationen zurück, um die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden. Die Mehrzahl der jetzt in Bremen verdächtigen rund 500 Personen ist allerdings lange vor der Einführung von AFIS eingereist, nur deshalb war ein Betrug in großen Stil möglich. Rolf Bornhöft gestern: "Mehrfachanmeldungen klappen nicht mehr."

Allerdings betonten die Bremer Senatoren Schulte und Hilde Adolf (Soziales), dass aus dem "schlagzeilenträchtigen Fall" keine verallgemeinernden Rückschlüsse gezogen werden dürften. "Die überwiegende Zahl der Asylbewerber lebt rechtmäßig hier", sagt ein Sprecher des Bremer Innenministeriums.

Hamburgs Problem mit den Afrikanern (in keiner Stadt der Bundesrepublik konzentrieren sie sich so stark wie in der Hafenmetropole an der Elbe) lässt sich durch AFIS allerdings nicht lösen. Angesichts des Sprachengewirrs vor allem in Westafrika ist es oft schwer, die tatsächliche Herkunft der Flüchtlingen herauszufinden. Die Hamburger Ausländerbehörde will jetzt verstärkt afrikanische Diplomaten aus Berlin darum bitten, in Sammelinterviews mit den Flüchtlingen bei der Suche nach deren echter Nationalität zu helfen, damit sie abgeschoben werden können.

Bremens Regierungschef Henning Scherf (SPD) verlangte eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Sozialämtern und Polizeidienststellen und eine europaweite Zusammenarbeit.