junge Welt, 3.3.2000

Hohes Risiko für Abgeschobene

Tod von kurdischen Wehrpflichtigen in der Türkei. Erneut soll 18jähriger Deutschland verlassen

Erneut ist ein abgeschobener kurdischer Asylbewerber, der nach seiner zwangsweisen Rückkehr zum türkischen Militär einberufen worden ist, unter noch ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Nachdem er monatelang »auf das Schlimmste erniedrigt worden« und in ständiger Todesangst gewesen sei, habe sich der 22jährige Fuat Orak aus dem Dorf Bawurne, Kreis Nusaybin, am 12. Februar das Leben genommen, so die Beratungsstelle für Flüchtlinge der Diakonie Ludwigshafen in einer Erklärung vor der Presse.

Im Mai vergangenen Jahres war der Kurde nach Ablehnung seines Asylantrags in die Türkei abgeschoben worden. Nach Angaben seiner Familie war er nach der Rückkehr in Nusaybin von Soldaten festgenommen und schwer gefoltert worden, so daß er in der Universitätsklinik von Diyarbakir behandelt werden mußte. Danach sei er zum Militärdienst einberufen worden. Aufgrund täglicher Schikanen und Todesdrohungen desertierte er zweimal in sein Heimatdorf. Als am 12. Februar Soldaten sein Haus umstellten, um ihn zum Militär zurückzubringen, erschoß sich der Kurde. Oraks Eltern machten gegenüber in Deutschland lebenden Verwandten die deutschen Behörden für den Tod verantwortlich, da ihm im Asylverfahren niemand habe glauben wollen, daß sein Leben beim türkischen Militär bedroht sei.

Bereits 1989 war ein Cousin, Hüseyin Orak, ebenfalls während des Militärdienstes unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Während das Militär »Selbstmord durch Erhängen« attestiert hatte, geht die Familie von einer Ermordung aus. Einen weiteren Cousin, den 18jährigen Mehmet Orak aus Hassloch in der Pfalz, der sich seit fünf Jahren in Deutschland aufhält und dessen Asylantrag vor ein paar Tagen letztinstanzlich abgelehnt wurde, hält die Ludwigshafener Diakonie nun ebenfalls für »schwer gefährdet«. Die vier evangelischen Geistlichen von Hassloch versuchen durch eine Petition im rheinland-pfälzischen Landtag, die drohende Abschiebung des 18jährigen zu verhindern. Seine 21jährige Schwester Ramie ist ebenfalls von Abschiebung bedroht. Nach Angaben der Ludwigshafener Diakonie hat das rheinland-pfälzische Innenministerium die Abschiebung der beiden Kurden bis zur nächsten Sitzung des Petitionsausschusses am 21. März vorläufig ausgesetzt.

Flüchtlingshilfeorganisationen weisen seit Jahren auf das erhöhte Gefährdungsrisiko von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern hin, die zum Militärdienst einberufen werden. Sie würden auch im kurdischen Südosten eingesetzt und seien besonders oft von Schikanen und Menschenrechtsverletzungen durch Vorgesetzte betroffen, so eine Sprecherin des Niedersächsischen Flüchtlingsrates gegenüber der »Frankfurter Rundschau«. Laut dem türkischen Kriegsgegnerverein ISKD (Izmir Savas Karsitlari Dernegi) zeigen Dokumentationsstudien, daß aus dem Ausland zurückkehrende »Militärdienstentzieher« »unmenschliche Behandlung« bis hin zum Tode riskieren.

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hat es mindestens zwei weitere mysteriöse Todesfälle von abgeschobenen Kurden beim türkischen Militär gegeben: Der 22jährige Savas Cicek soll sich im August in die linke Schläfe geschossen haben. Diese Version wird allerdings nach Angaben seiner Familie selbst vom Militärstaatsanwalt bezweifelt. Der Fall des im April 1999 aus Holland abgeschobenen Asylbewerbers Süleyman Aksoy, der 1995 vor dem Militärdienst in die Bundesrepublik geflüchtet war, hatte in den Niederlanden gar zu einem vorläufigen Abschiebestopp für Kurden geführt. Der 24jährige war nach seiner zwangsweisen Rückkehr der Militärbehörde in Ankara zur Ableistung des Wehrdienstes überstellt worden. Drei Monate später erhielten seine Eltern die Mitteilung, ihr Sohn habe Selbstmord begangen. Als die Eltern trotz Warnung des Staatsanwalts den Sarg öffneten, fanden sie die Leiche ihres Sohnes völlig verstümmelt vor.

Von einem weiteren kurdischen Asylbewerber, Murat Polat, der im Juli vergangenen Jahres ebenfalls an die Militärbehörden in Ankara überstellt worden war, fehlt nach Angaben der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V., Yek-Kom, bis heute jede Spur.

Dieter Balle