Hamburger Abendblatt, 2.3.2000

Wird Saddam erhört?

Pilgerjet startet trotz Flugverbots - und die USA lockt das irakische Öl

Von E. ANTONAROS

Bagdad - Die vor zehn Jahren verhängten UNO-Sanktionen gegen Irak werden immer löchriger: Gestern ist trotz des Flugverbots eine irakische Iljuschin-Maschine mit 117 Moslems an Bord von einem Militärflughafen bei Bagdad zu einem Pilgerflug in die heilige Stadt Mekka gestartet. Zur Umgehung der Restriktionen ist der Pilot mit Bagdads Religionsminister als prominentestem Fluggast einen großen Umweg über Jordanien geflogen. Die Pilgerreise nach Mekka, auf Arabisch "Hadsch" genannt, ist Pflicht für jeden gläubigen Moslem. Doch für Iraks Machthaber Saddam Hussein geht es um erheblich mehr als um die Erfüllung eines Koran-Gebots: Der Außenwelt will er demonstrieren, dass die seit dem Golfkrieg verhängten Strafmaßnahmen immer deutlicher aufweichen, vor allem, weil sich der UNO-Sicherheitsrat nicht auf einen Kurs gegenüber Irak einigen kann. Zwar pflegt Saddam seit 1997 jeweils zur Pilgersaison mehrere Flugzeuge nach Saudi-Arabien zu entsenden. Doch seine Herausforderung ist dieses Jahr besonders brisant: Obwohl sein 21-Millionen-Volk angeblich einer Hungerkatastrophe nahe ist, kommt für ihn ein Kompromiss mit der UNO über Ölexporte gegen die kontrollierte Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten nicht in Frage. Sogar eine Einigung über die Freigabe einer Millionensumme zur Finanzierung der irakischen Pilgerreisen ist in letzter Minute trotz russisch-französischer Vermittlung gescheitert. Dennoch könnte Saddams Rechnung mittelfristig aufgehen: Die USA scheinen neuerdings eine etwas flexiblere Haltung einzunehmen. Die Motive sind finanzieller Natur: Darf Irak die Erdölhähne aufdrehen, so könnten die irakischen Ölexporte die nach oben geschnellten Ölpreise drücken. Pokerspieler Saddam spielt jedoch auf Zeit. Denn trotz des Exportverbots fließt irakisches Rohöl reichlich ins Ausland - auf Umwegen. Bisher war die Türkei Hauptabnahmeland, neuerdings profitiert auch Syrien von der Annäherung an den einstigen Erzfeind Irak. Folge: Syrische Billigprodukte überfluten den irakischen Markt. Seit dieser Woche betreiben irakische Diplomaten eine Interessenvertretung bei der Botschaft Algeriens in Damaskus. Bald soll es zu vollen diplomatischen Beziehungen kommen. (SAD)