Die Presse (Wien), 28.2.2000

Sexualkunde als Medizin gegen Hisbollah und PKK

An türkischen Schulen sollen nun ältere Schüler in Crash-Kursen aufgeklärt werden.

Von unserem Mitarbeiter JAN KEETMAN

ISTANBUL. Der Storch, der in der Türkei lange die Babies bringen mußte, hat nun auch dort ausgedient. Das Nationale Erziehungsministerium will an den Schulen Sexualkunde-Unterricht einführen. Das Projekt startet in den 6., 7. und 8. Klassen in Istanbul. Danach soll es auf das ganze Land ausgedehnt werden. In eigenen Veranstaltungen sollen speziell ausgebildete Lehrer die Schüler, streng nach dem Geschlecht getrennt, aufklären. Dafür haben die Lehrkräfte gerade 25 Minuten Zeit, dann stehen noch mal 15 Minuten für Fragen der Schüler zur Verfügung, und schon geht es an die nächste Schule. Das Thema Sexualität ist in der Türkei noch immer heikel. Dabei erlaubt der Islam in vielem ein unbefangenes Herangehen an die Sexualität: Verhütung und Abtreibung sind kein moralisches Problem, "Fleischeslust" ist an sich nichts Anrüchiges. Die Probleme beginnen dafür bei allem, was mit außerehelicher Sexualität zu tun hat. So wird noch immer erwartet, daß Frauen jungfräulich in die Ehe gehen. Noch vor zwei Jahren zog eine Ministerin die Kritik von Frauenverbänden auf sich, als sie auch angesichts zahlreicher Selbstmorde junger Mädchen weiterhin die Durchführung von zwangsweisen Jungfräulichkeitstests auf Antrag der Familien verteidigte. Schließlich weigerten sich die Ärzteverbände, solche Tests weiter durchzuführen. Widersprüchlich ist der Umgang mit dem Zeigen blanker Haut: Lebt eine Frau nicht in einem modernen Viertel einer großen Metropole, so tut sie gut daran, mit einem Kopftuch ihre Ehrbarkeit anzudeuten. Die großen Zeitungen bringen hingegen oft Bilder leichtbekleideter Damen. Tanju Yilmazer von der Abteilung für Gesundheit im Erziehungsministerium verteidigt den Sexualkunde-Unterricht so: "Das ist, wie wenn man sich in der Dunkelheit fürchtet und ein Licht anzündet. Sobald das Licht brennt ist die Furcht verschwunden." Und Necdet Özkaya, Staatssekretär im Erziehungsministerium, warnt: Ohne Aufklärungsunterricht würden die Kinder zu "Satanisten oder Mitgliedern von Hisbollah und PKK."