Süddeutsche Zeitung, 26.2.2000

Den Iran umarmen, aber nicht zu stürmisch

Europa kann jetzt besser denn je auf die Schlüsselnation einer Krisenregion Einfluss nehmen

Von Stefan Kornelius

In Deutschland und den übrigen EU-Staaten wird die Parlamentswahl in Iran als Zeitenwende wahrgenommen. In der ersten Hochstimmung überbieten sich Wirtschaftsverbände mit Respektsbekundungen an die reformorientierten Kräfte in Teheran und positionieren sich für den wieder zu erschließenden Markt: Frankreich hat das Ölgeschäft fest im Griff, Deutschland kann auf den Telekommunikationsmarkt und den Maschinenbau hoffen. Die USA werden wohl zu spät kommen, weil Washington seine Tauwetterphase zu spät begonnen hatte und die Annäherung in Iran selbst keine Gegenliebe findet. Der Weg vom Erzfeind zum politischen und ökonomischen Partner ist eben lang. Die Europäer müssen hingegen nur den "kritischen Dialog" wiederbeleben, den man inzwischen sogar offen nennen darf.

Die Wandlung ist nicht verblüffend, weil sie sich doch seit Monaten abzeichnete. In den außenpolitischen Beziehungen des Iran spiegelte sich immer die innenpolitische Kräfteverteilung wieder. Zunächst also der Abbruch des europäischen Dialogs nach dem Mykonos-Urteil, die Verhaftung und Quälerei des deutschen Geschäftsmannes Helmut Hofer, der Einfluss Teherans auf fundamentalistischen Terror - all dies zwang zu einer Zäsur. Dann die langsame Annäherung, die schließlich in der Freilassung Hofers mündete. Noch heute, wenige Wochen nach seiner Rückkehr, scheint es befremdlich zu sein, über die von ihm erlittene Tortur hinwegzusehen. Außenminister Joschka Fischer wird auf seiner Reise nach Teheran dazu den diplomatischen Schlussakkord spielen müssen.

Fischers Reise - eine der ersten eines Politikers aus dem Westen - und der bevorstehende Besuch des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami in Berlin (und möglicherweise ein institutionalisiertes Treffen der EU-Staaten mit dem Iran) bieten nun die Basis für ein breites Geflecht von Kontakten. In diesem Dialog müssen die Regeln eines sich zögerlich entwickelnden politischen Islam berücksichtigt werden. Noch herrschen in Iran Unterdrückung und Folter, noch werden Menschen hingerichtet und die einfachsten Rechte verletzt. Der Iran ist nicht über Nacht zum Hort von Liberalität und Demokratie geworden. Eine zu stürmische Unterstützung der Reformkräfte könnte das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielen.

Dennoch lässt sich nun besser als in all den Jahrzehnten zuvor Einfluss nehmen auf die Schlüsselnation einer mit Konfliktherden überzogenen Region. Ein demokratischer Islam in Zentralasien wirkt stabilisierend - eine Allianz des Westens mit dem Iran wird gar abschreckende Kraft (etwa auf den Nachbarn Irak) entfalten. Die Abkehr vom Terrorismus könnte den Nahen Osten ein Stück näher an den Frieden bringen. Noch bastelt Iran an Raketen, die bis nach Zentraleuropa reichen; noch wird vermutlich mit Massenvernichtungswaffen experimentiert. Noch nie aber war die Zeit so günstig, dem Iran Allianzen schmackhaft zu machen und die Gewalt-Spirale in Zentralasien aufzuhalten. Deutschland und die EU sollten ihre Chance beherzt nutzen.