Die Welt, 26.2.2000

Türkisches Militär beendet liberale Politik der Regierung

Hardliner lassen keine Diskussion über Rechte für Kurden zu - Verhaftungen sollen gemäßigte Kräfte einschüchtern

Von Evangelos Antonaros

Athen/Istanbul - Auch nach der Zerschlagung der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) will das türkische Establishment mit gemäßigten Kurden nicht ins politische Gespräch kommen. Bei verbissenen Auseinandersetzungen hinter den Kulissen haben sich in der Türkei offenbar die Verfechter eines harten Kurses gegenüber den Kurden durchgesetzt.

Allen voran will das Militär offenbar keine öffentliche Diskussion über eine Zulassung der kurdischen Sprache und die Anerkennung von sehr bescheidenen Autonomie-Rechten für die vornehmlich in Südostanatolien, aber auch in den Großstädten der Westtürkei lebenden Kurden zulassen.

Erst Mitte Dezember, also unmittelbar nach der Anerkennung der Türkei als EU-Beitrittskandidat auf dem Helsinki-Gipfel, hatte der liberale Außenminister Ismail Cem in einem CNN-Interview gesagt: "Die Menschen in der Türkei sollten das Recht besitzen, Fernsehsender in ihren Sprachen zu betreiben." In erster Linie waren damit die Kurden gemeint. Seither hat Cem diese für türkische Verhältnisse bahnbrechende These öffentlich nicht mehr wiederholt. Im Gegenteil: Erst vergangene Woche ließ General Cumhur Asparuk, der Generalsekretär des mächtigen Nationalen Sicherheitsrats, erkennen, dass Sendungen in kurdischer Sprache nicht in Frage kämen. Damit hat sich das politisch einflussreiche Militär nach mehrwöchigem Schweigen erstmals zu Wort gemeldet und der Koalitionsregierung von Bülent Ecevit, der sich - wenn auch mit vorsichtigen Schritten - um eine Verbesserung der bedenklichen Menschenrechtslage bemüht, die Grenzen seiner Handlungsfreiheit markiert.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Der populäre Nachrichtensender CNN-Türk wurde für einen Tag geschlossen, weil ein Interviewer einem Gast die Frage stellte, ob aus PKK-Chef Öcalan langfristig ein kurdischer Mandela werden könne. Einer Delegation des Europa-Parlaments wurde ein Besuch bei der inhaftierten Ex-Parlamentarierin Leyla Zana verweigert. Beinahe zeitgleich wurden drei demokratisch gewählte Bürgermeister kurdischer Abstammung in Südostanatolien wegen angeblicher Verbindungen zur PKK festgenommen. Die gesamte Parteispitze der prokurdischen Hadep-Partei wurde mit der gleichen Begründung zu Haftstrafen verurteilt. Zugleich wird das Verbotsverfahren gegen die Hadep und die islamistische Fazilet-Partei beschleunigt.

Nach Ansicht des liberalen türkischen Journalisten Mehmet Ali Birand sollen nicht näher identifizierte konservative Kräfte festgestellt haben, dass das "neuerdings entstandene innenpolitische Klima zu liberal" sei und in eine "gefährliche Richtung" weise. Birand: "Durch ihr entschlossenes Vorgehen wollen sie vor allem den Europäern zeigen, dass sie keine Einmischung, in welcher Form auch immer, von außen in die türkische Kurdenpolitik hinnehmen wollen."

Andere Beobachter vemuten, das türkische Militär wolle, unterstützt von den einflussreichen Rechtsnationalisten in Ecevits Regierung, einer "gefährlichen politischen Entwicklung" vorbeugen: Im Rahmen eines Gesamtfriedens im Nahen Osten - so befürchten sie - könnte auch der Druck auf die Türkei wachsen, die sogenannte "kurdische Realität" anzuerkennen. Daher sind die Hardliner schon jetzt dabei, die potentiellen Anführer einer kurdischen Bewegung ins Gefängnis zu schicken, um sie politisch vorab zu diskreditieren.

Dass dadurch erhebliche Nachteile auf dem mühsamen Weg der Türkei in Richtung Europa entstehen könnten, scheint diese Kräfte wenig zu stören. Und das nicht nur, weil sie sich mit den Auflagen, die der Türkei in Helsinki gemacht wurden, nie angefreundet haben. Mit zynischer Kaltschnäuzigkeit, so die Einschätzung westlicher Diplomaten in Ankara, gehen sie wohl davon aus, dass die Europäer wie so oft in der Vergangenheit auf die neue Repressionswelle schlimmstenfalls mit ein paar Erklärungen reagieren werden.