Stuttgarter Nachrichten, 24.2.2000

Lutherkirche gewährt kurdischer Familie Asyl

Pfarrer Schlue: ¸¸Wir konnten das Begehren auf keinen Fall ablehnen'' - Kollekte in Gottesdiensten Fellbach - Abschiebung in die Türkei und drohende Folter - das war es, was zumindest nach Ansicht der evangelischen Kirchengemeinde der kurdischen Mutter Ayse Ucrak und ihren vier Töchtern bevorstand. Seit November ist die Familie im Kirchenasyl.

VON DIRK HERRMANN

Der Gemeinderat der Lutherkirche hat bereits am 15. November beschlossen, Mutter und Kinder im Paul-Gerhardt-Gemeindehaus aufzunehmen. Der Versuch, auf rechtlichem Weg eine Lösung finden, blieb ohne Erfolg. Erst jetzt hat sich die Kirchengemeinde dazu entschlossen, die Öffentlichkeit über das Kirchenasyl zu informieren.

Hüseyin Ucrak wurde trotz eines festen Arbeitsverhältnisses in einem Fellbacher Autohaus 1997 in die Türkei abgeschoben. Dort angekommen, wurde er noch am Flughafen festgenommen und später auch gefoltert. Gegen Bestechungsgeld kam er einen Monat später wieder frei, tauchte in der Türkei unter. Nach zwei Jahren kam er nach Deutschland zurück, kürzlich hat er einen Asylfolgeantrag in Karlsruhe gestellt. Damit war die Familie nach langer Zeit wieder zusammen - doch nun stand die Abschiebung der Mutter und der Kinder bevor. Das amtsärztliche Zeugnis, dass Ayse Ucrak noch unter den psychischen Folgen der Misshandlungen in der Türkei leide, war für die Behörden nicht ausschlaggebend.

Pfarrer Hans-Jürgen Schlue von der Lutherkirche betont: ¸¸Wir konnten auf keinen Fall das Kirchenasylbegehren ablehnen, denn wir sehen das Menschliche im Vordergrund.'' Er beruft sich auf Dokumentationen von Amnesty International, wonach abgeschobene Kurden misshandelt und Frauen systematisch sexuell gefoltert werden. Schlue: ¸¸Es war für uns menschlich undenkbar, die Frau und die Töchter der Gefahr einer Abschiebung auszusetzen.''

Seit November werden also die Mutter und die vier Töchter im Alter zwischen zwei und 17 Jahren von der Kirchengemeinde versorgt - es gab mehrere Kollekten in den Gottesdiensten. Der Zufluchtsort der Flüchtlingsfamilie ist den Behörden seit Anfang des Kirchenasyls bekannt - und wird toleriert. Dennoch ist die Familie damit nur scheinbar dem Zugriff der Polizei entzogen. Die Kirchengemeinde hofft, für die Familie wenigstens eine vorläufige Duldung zu erwirken und die Asylverfahren des 45-jährigen Vaters und der 39-jährigen Mutter mit ihren Töchtern zusammenzulegen, damit die Familie weiter zusammenbleiben kann.