Frankfurter Rundschau, 25.2.2000

Dem politischen Tauwetter folgt die ökonomische Annäherung

Griechische Unternehmen loten Investitionsmöglichkeiten in der Türkei aus / Liste der Vorhaben ist lang

Von Gerd Höhler

Nicht nur politisch herrscht Tauwetter zwischen Griechenland und der Türkei. Die bis vor kurzem heillos zerstrittenen Nachbarn wollen auch wirtschaftlich engere Bande knüpfen. Ende der Woche wird eine griechische Unternehmerdelegation nach Istanbul reisen. Sie will Investitionsmöglichkeiten sondieren und mit den Türken über Gemeinschaftsunternehmen sprechen. Vor allem hellenische Dienstleister, die Bauwirtschaft und der Handel sind an Engagements interessiert. Das Potenzial ist enorm. Der bilaterale Warenaustausch stieg zwar in den vergangenen fünf Jahren auf mehr als das Doppelte, war aber 1999 mit einem Gesamtvolumen von 650 Millionen Euro weder beeindruckend noch ein nennenswerter Posten in den Außenhandelbilanzen beider Länder. Die aus Griechenland eingeführten Waren machen nur 0,7 Prozent des türkischen Imports aus, und die griechischen Investitionen beim Nachbarn sind mit rund 400 000 Euro bisher unbedeutend. Lediglich 32 Firmen sind jenseits des Bosporus vertreten. Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren hat Frankreich als größter ausländischer Investor in der Türkei 5,3 Milliarden Euro angelegt, gefolgt von Deutschland und den USA mit jeweils rund drei Milliarden.

Doch die bis dato unterentwickelten griechisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen dürften aufblühen, wenn sich das politische Tauwetter als dauerhaft erweist. Für die Griechen ist die 65 Millionen Menschen zählende Türkei wegen der unmittelbaren geografischen Nachbarschaft und der großen Wachstumsdynamik als Markt interessant.

Die Voraussetzungen sind günstiger geworden, seit die Außenminister jüngst eine Reihe von Verträgen unterzeichneten. Dazu gehören ein Doppelbesteuerungsabkommen, Vereinbarungen über den gegenseitigen Schutz von Investitionen, ein Zollabkommen und ein Rahmenvertrag über wirtschaftliche Zusammenarbeit, der die Einsetzung einer ständigen bilateralen Kommission vorsieht.

Zu den interessantesten Vorhaben gehört ein Kraftwerksprojekt in Westthrazien, das Strom in die Türkei und andere Balkanländer liefern soll. Initiatoren des im Januar vereinbarten Joint-ventures sind die griechische Kopelousos-Gruppe und das türkische Bauunternehmen Gama. Dem Konsortium gehören außerdem Exxon-Mobil aus den USA, die italienische Enel und die russische Gasprom an.

Als ein weiteres fruchtbares Feld für Kooperationen gilt der Tourismus. Die Hoteliers- und Reisebüroverbände beider Länder knüpften bereits erste Kontakte. Insbesondere im lukrativen Jacht-Tourismus will man künftig zusammenarbeiten. Der Fährverkehr zwischen den griechischen Ägäisinseln und dem türkischen Festland sollen ebenfalls intensiviert werden. Auch griechische Finanzdienstleister drängt es gen Südosten. Die überwiegend staatlich kontrollierte National Bank of Greece, das größte Kreditinstitut des Landes, will in Kürze eine Repräsentanz in Istanbul eröffnen. Das wäre nur der erste Schritt in den türkischen Markt, dem so bald die möglich die Anerkennung als vollwertige Niederlassung folgen soll. Ebenfalls noch in diesem Jahr wollen die Alpha Credit Bank, das zweitgrößte griechische Geldhaus, und die EFG Eurobank, ein strategischer Partner der Deutschen Bank, in der Türkei Fuß fassen. Darüber hinaus streben griechische Versicherungskonzerne nach Anatolien. Erschwert wird die Expansion allerdings vorerst durch die restriktive türkische Gesetzgebung und durch exorbitante Kosten, klagt Antonis Fotilas, Generaldirektor des griechischen Bankenverbandes.

Nicht zuletzt griechische Privatanleger zeigen Interesse an Investitionen in der Türkei. Athener Banken jedenfalls berichten über eine wachsende Zahl von Anfragen ihrer Kunden. In Zusammenarbeit mit Merrill Lynch bietet die National Bank of Greece ein türkisches Index-Zertifikat an. Der Istanbuler Aktienindex legte 1999 um stolze 240 Prozent und im Januar dieses Jahres bereits um weitere 30 Prozent zu. Trotz dieser phänomenalen Rallye gilt das Potenzial als nicht ausgereizt - zumal aus Sicht griechischer Aktionäre, die im vergangenen Jahr an der Athener Börse mit einem Indexplus von 102 Prozent verwöhnt wurden, seither aber herbe Einbußen erlitten. Die Istanbuler Marktkapitalisierung lag auf dem Höhepunkt bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, gegenüber 140 Prozent in Griechenland. Und während die Athener Börse zeitweilig ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 35 erreichte, beträgt es in Istanbul derzeit moderate 18.