Tagesspiegel, 25.2.2000

Missstimmung zwischen Türkei und Europa

Türkische Behörden gehen massiv gegen Kurdenpartei Hadep vor und missbilligen europäische Einmischung

Thomas Seibert

Es ist fast, als hätte es den Gipfel von Helsinki nie gegeben. Nach Monaten der Annäherung zwischen der Türkei und Europa, die in der Anerkennung Ankaras als EU-Beitrittskandidat ihren Höhepunkt fand, sei plötzlich "ein Schatten auf die Beziehungen" gefallen, kommentierte die Zeitung "Milliyet" am Donnerstag. Ministerpräsident Bülent Ecevit wirft den Europäern Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes vor. Ausländische Diplomaten bedauern "ungute Zeichen", die von der türkischen Seite gesetzt würden. Und die Zeitung "Hürriyet" beklagt, dass sich europäische Minister zum Auftakt ihrer Ankara-Visiten mit Kurden und Menschenrechtlern zusammensetzten, statt sich am Atatürk-Mausoleum vor der türkischen Nation zu verneigen: "Frechheit." Auslöser für die neue Missstimmung zwischen Türken und Europäern ist das Vorgehen der türkischen Behörden gegen die Kurdenpartei Hadep. Drei Hadep-Bürgermeister, die am Wochenende festgenommen worden waren, sitzen nach Ausstellung von Haftbefehlen seit Donnerstag früh in einem Hochsicherheitsgefängnis der südostanatolischen Provinzhauptstadt Diyarbakir, weil sie die PKK unterstützt haben sollen. Forderungen von Bundesaußenminister Joschka Fischer nach Freilassung der Kommunalpolitiker und auch eine Demarche der EU beim türkischen Außenministerium fruchteten nichts.

Wenige Stunden nach dem Erlass der Haftbefehle gegen die Bürgermeister fielen in einem schon länger anhängigen Gerichtsverfahren die Urteile gegen die Führungsspitze der Hadep. Der Vorsitzende Ahmet Turan Demir, sein Vorgänger Murat Bozlak und 16 weitere Angeklagte erhielten wegen PKK-Unterstützung Gefängnisstrafen von drei Jahren und neun Monaten. Die Botschaft ist allzu deutlich: Die Hadep soll auch ohne Abschluss des gegen die Partei laufenden Verbotsverfahrens als politische Vertretung der Kurden mundtot gemacht werden.

Ungeklärt ist bisher, ob dies auf Initiative der Regierung geschieht oder ob andere mächtige Kräfte - etwa die Behörden in dem unter Kriegsrecht stehenden Südosten der Türkei oder europakritische Fraktionen im Militär - Signale senden möchten. Die offizielle Position Ankaras lautet, es handele sich um juristische Verfahren, die die Regierung nichts angingen. Doch niemand glaubt, dass die wie eine Kommandoaktion inszenierten Festnahmen der Hadep-Bürgermeister reine Routine waren. So kam die erste Mitteilung über die Festnahmen nicht von der Justiz, sondern vom Sondergouverneur des Ausnahmezustandsgebiets. Nach der Kritik aus dem Ausland warf Ecevit den Europäern vor, sie ergriffen Partei für die PKK.

"Irgendetwas ist in der Türkei im Gange", glaubt der Journalist Mehmet Ali Birand, der die neue harte Linie am eigenen Leibe zu spüren bekam: In einer von ihm moderierten Sendung des Fernsehsenders CNN-Türk über PKK-Chef Abdullah Öcalan will die staatliche Rundfunk-Aufsichtsbehörde separatistische Propaganda erkannt haben. Zur Strafe soll CNN-Türk ein eintägiges Sendeverbot erhalten. Birand hat den Eindruck, dass der neue Druck der in- und ausländischen Öffentlichkeit klarmachen soll, dass es auch nach dem Ende des PKK-Krieges keine tolerantere Kurdenpolitik in der Türkei geben wird und dass auch die EU-Bewerbung Ankaras daran nichts ändert.