junge Welt, 24.2.2000

Protestwelle gegen Verhaftungen

Türkei: Streit um Festnahme kurdischer Kommunalpolitiker eskaliert

Der Streit zwischen Deutschland und der Türkei um die Festnahme von drei kurdischen Bürgermeistern ist am Mittwoch eskaliert. Der türkische Präsident Süleyman Demirel verbat sich eine Einmischung der Europäer in den Fall der Lokalpolitiker und verwies auf die Gleichheit aller Türken vor dem Gesetz. »Die Türkei löst ihre Probleme selbst«, sagte Demirel. Ministerpräsident Bülent Ecevit warf den Europäern vor, Ankara unter Druck setzen zu wollen. Zuvor hatte Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne) in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Ismail Cem die Freilassung der Lokalpolitiker verlangt. Die drei Bürgermeister wurden unterdessen dem Staatssicherheitsgericht in der südosttürkischen Provinzhauptstadt Diyarbakir vorgeführt. In Diyarbakir und im westtürkischen Izmir gab es nach Fernsehberichten neue Protestkundgebungen gegen die Festnahmen.

Die Bürgermeister von der pro-kurdischen Partei HADEP waren am Wochenende in Südostanatolien festgenommen und seitdem verhört worden. Der prominenteste unter ihnen ist der Bürgermeister der Großstadt Diyarbakir, Feridun Celik. Die beiden anderen sind die HADEP-Bürgermeister von Bingöl und Siirt, Feyzullah Karaaslan und Selim Özalp. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Ämter für Kontakte mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) genutzt zu haben. Die Lokalpolitiker waren unmittelbar nach der Rückkehr von einer kommunalpolitischen Tagung in Hannover festgenommen worden.

Demirel erklärte nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu bei einem Besuch eines Armeemanövers in der Stadt Kars, in der Türkei herrsche Gleichheit vor dem Gesetz. Ecevit sagte der Zeitung Cumhuriyet, die EU-Staaten ergriffen Partei für die PKK und deren Anhänger. Wenn es um die Erhaltung der territorialen Integrität gehe, seien die Türken »sensibel«. Ähnlich äußerte sich Außenminister Cem in seinem Telefonat mit Fischer. Cem sagte auch, die türkische Regierung mische sich nicht in ein laufendes Justizverfahren ein.

Fischer betonte in seinem Gespräch mit Cem, die Festnahmen erschwerten eine Unterstützung für die EU- Ambitionen Ankaras. Ein Vertreter der deutschen Botschaft in Ankara wurde unterdessen im türkischen Außenministerium vorstellig. Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft bemühte sich am Mittwoch um eine gemeinsame Demarche aller EU- Staaten zum Fall der drei Bürgermeister. Der Europarat in Strasbourg forderte am Mittwoch ebenfalls die sofortige Freilassung der Politiker.

Ein türkisches Gericht hat unterdessen ein für Mittwoch geplantes zweites Verfahren gegen den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, vertagt. Als Grund nannten die Richter Unklarheit über den Verbleib von 82 weiteren Angeklagten. Der Prozeß soll jetzt am 24. April beginnen. Angeklagt wegen Separatismus, Mordes und Erpressung sind Öcalan, seine Ehefrau Kesire sowie 99 weitere Mitglieder der PKK.

(AFP/AP/jW)