Süddeutsche Zeitung, 22.2.2000

Absolute Mehrheit bei Parlamentswahl in Iran

USA: Sieg der Reformer ist ein historisches Ereignis

"Iranische Bevölkerung will mehr Freiheit und Öffnung nach außen" / Fischer plant Reise nach Teheran

Teheran/Washington (chi./dpa) - Die USA haben den Wahlsieg der Reformer in Iran als ein "Ereignis von historischem Ausmaß" und als Zeichen für die wachsende Kraft der Demokratie in Iran gewürdigt. Er sei ein Beweis dafür, dass die iranische Bevölkerung im eigenen Land mehr Freiheit und nach außen eine stärkere Öffnung wolle, erklärte US-Außenamtssprecher James Rubin in Washington. Es bleibe aber abzuwarten, "ob die klaren Hoffnungen des iranischen Volkes in die Tat umgesetzt werden können". Bedeutsam werde sein, ob Iran seine Opposition gegen den Friedensprozess im Nahen Osten und die Unterstützung terroristischer Gruppen aufgeben werde, sagte Rubin. Die USA hatten ihre Beziehungen zu Iran nach der islamischen Revolution und der Geiselnahme amerikanischer Diplomaten in Teheran 1979 abgebrochen. Nach der Wahl des als gemäßigt geltenden iranischen Präsidenten Mohammed Chatami 1997 versuchte Washington ohne Erfolg, das Verhältnis wieder zu normalisieren.

Auch die Bundesregierung begrüßte den Wahlsieg der Reformkräfte bei den Parlamentswahlen in Iran. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Andreas Michaelis, sagte am Montag, der Ausgang der Parlamentswahlen sei "ein wichtiges und ermutigendes Signal für die Stärkung der Demokratie in Iran." Er kündigte zudem eine Reise von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) nach Teheran an.

Auch die Bundestags-Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen begrüßten den Wahlausgang; allerdings warnten die Parteien vor zu großen Hoffnungen. Mehrere Iran-Experten sagten, sie erwarteten eine Verbesserung der deutsch-iranischen Beziehungen. Außenpolitisch bemüht sich Teheran um eine Öffnung gegenüber den arabischen Staaten und eine Annäherung zur Europäischen Union sowie zu den USA.

Nach der bisherigen Auszählung sicherten sich die iranischen Reformer allein in der Hauptstadt Teheran 28 von 30 zu vergebenden Parlamentssitzen. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge erreichte dort der Bruder Chatamis, Mohammed Resa Chatami, das beste Ergebnis. Das zweitbeste Resultat erzielte eine Frau: Dschamileh Kadivar. Sie war bereits bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr in Teheran erfolgreich gewesen. Zudem dürften die erklärten Anhänger des Reformpräsidenten Chatami zusätzliche Unterstützung bei einem Teil der unabhängigen iranischen Abgeordneten in der 290 zählenden Madschlis finden. Das genaue Wahlergebnis soll im Laufe der Woche vorliegen. Nach der bisherigen Auszählung können die Reformer jedoch mit mindestens 60 Prozent aller Mandate rechnen.

Niederlage für Rafsandschani

Selbst konservative Zeitungen zweifelten am Montag nicht mehr daran, dass ihre Seite die Wahl verloren hat. Es scheint den Entscheidungsträgern des Establishments noch Kopfzerbrechen zu bereiten, wie sie die Niederlage verarbeiten und präsentieren sollen. Vor allem das schlechte Abschneiden des ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsandschani, den sie zu ihrem Spitzenkandidaten in der Hauptstadt gemacht hatten, muss für sie ein Problem sein. Laut inoffiziellen Berichten lag Rafsandschani bei der noch unvollständigen Zählung lediglich an 25. bis 35. Stelle. Teheran entsendet 30 Abgeordnete in die Madschlis.

Überhaupt nicht gewählt zu werden, wäre für Rafsandschani eine politische Katastrophe - und nicht nur für ihn. Wie kaum ein anderer verkörpert er das politische System der islamischen Republik seit ihrer ersten Stunde. Aber auch auf einem der letzten Plätze zu landen, wäre kaum besser. Denn Rafsandschani kann nicht Hinterbänkler in der Madschlis sein. Maßgebende Sprecher der Rechten hielten daher auch daran fest, dass er wieder Parlamentspräsident werden müsse.

Wann der zweite Durchgang in jenen Wahlkreisen stattfindet, in denen am Freitag kein Kandidat mit mindestens 25 Prozent der Stimmen gewählt wurde, steht nicht fest. Praktisch kann die Stichwahl kaum vor dem übernächsten Freitag organisiert werden. Unter den ersten Projekten, die das neue Parlament im Frühjahr anfasst, dürfte sich ein liberaleres Pressegesetz befinden. Auch die Reform des Wahlrechtes soll Vorrang haben. Die höchste Autorität des Landes, Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, kann Parlamentsbeschlüsse allerdings ablehnen.