Süddeutsche Zeitung, 21.2.2000

Meinungsseite
Hoffen auf Chatami

Die Entscheidung hätte nicht klarer ausfallen können: Bei den Wahlen zum Parlament haben die Iraner noch deutlicher als je zum Ausdruck gebracht, dass sie das in mehr als 20 Jahren erstarrte politisch-soziale System der islamischen Republik modernisieren wollen. Sie möchten den Kontakt zur Welt, sie möchten ein besseres Leben, sie möchten eine Lockerung zumindest der striktesten islamischen Verhaltensregeln. Und sie glauben weiterhin, dass Präsident Mohamed Chatami am ehesten in der Lage ist, diese Hoffnungen zu erfüllen.

Noch ist das Vertrauenskapital des Präsidenten weitgehend intakt. Doch auch der Erwartungsdruck, dem er ausgesetzt ist, wird größer sein als vorher. Bisher konnte seine Regierung stets darauf verweisen, dass ihre konservativen Gegner Reformprojekte mit ihrer Mehrheit in der Madschlis zu Fall brachten. Dieses Alibi wird weniger glaubhaft, wenn die Reformer tatsächlich mit einem so starken Übergewicht ins Parlament einziehen, wie es die Teilergebnisse erwarten lassen.

Die materiellen Voraussetzungen für das bessere Leben sind trotz gestiegener Erdölpreise nicht allzu gut. Irans Bevölkerung wächst rasch und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Dies sind Probleme, mit denen das Regime Chatamis nicht allein steht. Auch andere Länder vergleichbaren Entwicklungsstandes haben gegen sie zu kämpfen. Doch es gibt zusätzlich eine spezifisch iranische Last. Anderswo sagen die Regime den Staatsbürgern nicht, wie sie leben sollen. Moralische Ansprüche aber kann nur stellen, wer ein Minimum an Sicherheit und Wohlstand bietet. Die jetzt geweckten Hoffnungen zu enttäuschen, könnte sehr gefährlich sein.

chi.