Frankfurter Rundschau, 21.2.2000

Ankara verspricht und verhaftet

Im Hintergrund: Widersprüchliche Signale in Sachen Menschenrechte

Von Gerd Höhler (Athen)

Nachdrücklich hat Schwedens Außenministerin Anna Lindh in Ankara Bemühungen der Türkei um die Menschenrechte angemahnt. Sonst, so Lindh, könne aus der türkischen EU-Kandidatur nichts werden. Amtskollege Ismail Cem versicherte, man werde Reformen entschlossen umsetzen. Doch jetzt mehren sich die Zweifel, ob Ankara den Wandel wirklich herbeiführen will und kann.

Wie eine Ohrfeige für Lindh musste wirken, was wenige Stunden nach ihrer Abreise am Samstag in der Kurdenmetropole Diyarbakir ablief. Schwerbewaffnete Polizisten stoppten mitten im Zentrum den Dienstwagen des Bürgermeisters der Millionenstadt, Feridun Celik, zerrten ihn in einen Transporter und brachten ihn zur Vernehmung. Erst am Donnerstag war Schwedens Außenministerin demonstrativ mit Celik zu einem Gespräch über die Lage in den Südostprovinzen und die Kurdenfrage zusammengetroffen. Fast zeitgleich mit der Festnahme Celiks wurden auch die Bürgermeister der Kurdenstädte Siirt und Bingöl abgeführt. Sie waren, wie Celik und weitere 33 Stadtoberhäupter im Südosten, bei den Kommunalwahlen im April vergangenen Jahres als Kandidaten der pro-kurdischen Demokratie-Partei des Volkes (Hadep) in ihre Ämter gewählt worden. Der türkische Nachrichtensender ntv berichtete, die Bürgermeister würden illegaler Kontakte zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verdächtigt. Düpiert fühlen muss sich durch die Polizeiaktion auch Staatspräsident Süleyman Demirel. Er hatte die Hadep-Bürgermeister, ungeachtet eines gegen die Partei laufenden Verbotsverfahrens, im vergangenen Jahr in seinem Amtssitz in Ankara empfangen und ihnen versichert, seine Tür stehe für sie immer offen. Manche Beobachter interpretierten das als Signal einer Wende in der Kurdenpolitik, andere hielten es für einen PR-Schachzug des Opportunisten Demirel.

Aus Ankara kommen widersprüchliche Signale. Cem preist seinen europäischen Kollegen, zuletzt auch Joschka Fischer, die Fortschritte bei der Demokratisierung seines Landes an; und Ministerpräsident Bülent Ecevit versteigt sich sogar zu der Prognose, "in zwei bis drei Jahren" werde die Türkei wirtschaftlich reif für den EU- Beitritt sein. Demokratisierung und Menschenrechtsreformen seien sogar "noch schneller" zu schaffen. Ecevit mag das glauben, aber hat er wirklich das Sagen?

Während Lindh in Ankara der türkischen Regierung den "politischen Willen" zur Reform attestierte und das in der Türkei genannte Beitrittsdatum 2004 als "ambitioniert, aber willkommen" bezeichnete, verhängte der Oberste Fernseh- und Hörfunkrat (RTUK) ein eintägiges Sendeverbot gegen den Nachrichtensender CNN Türk. Das Verbrechen des türkischen CNN-Ablegers, das für die beteiligten Verantwortlichen wahrscheinlich auch noch strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen wird: In einer Diskussionssendung hatte der angesehene Moderator Mehmet Ali Birand die naheliegende und in ausländischen Publikationen seit Monaten diskutierte Frage aufgeworfen, ob sich der zum Tode verurteilte PKK-Chef Abdullah Öcalan womöglich als ähnliche Figur wie Nelson Mandela darzustellen versuche.

Der Feldzug gegen den Fernsehsender, so glauben manche türkischen Beobachter, gehe auf das Konto der einflussreichen Militärs, die den in Ankara zu beobachtenden Liberalisierungstendenzen einen Riegel vorzuschieben versuchten. Auch mit den Festnahmen der kurdischen Kommunalpolitiker im Südosten, meinen manche, signalisierten die Sicherheitskräfte den Politikern, wo ihre Grenzen sind. Damit scheint wieder einmal die Frage aufgeworfen, wer die Türkei eigentlich regiert.