Berliner Moprgenpost, 20.2.2000

Reformer um Präsident Chatami sehen sich als sichere Sieger der Wahl im Iran

dpa Teheran - Das vor allem aus traditionellen Geistlichen bestehende konservative Lager hat bei den iranischen Parlamentswahlen zur Nationalversammlung, der Madschlis, offenbar eine schwere Niederlage erlitten. Erste Ergebnisse deuten auf schwere Verluste der Konservativen hin, hieß es in den iranischen Zeitungen. Die Auszählung der Stimmen wird wahrscheinlich einige Tage dauern. Trotz des begrenzten Einflusses des Parlaments galt die Wahl als Gradmesser für das Tempo und das Ausmaß der Liberalisierung, die Präsident Chatami seit seinem Amtsantritt

1997 allmählich eingeleitet hat.

Die führende Tageszeitung Teheran Times forderte in einem Kommentar, den Ausgang der Wahl zu respektieren. «Falls das Ergebnis nicht nach dem Geschmack einiger ausfällt, sollten diese nicht irrational reagieren», hieß es. Die Geschichte lehre, dass Verstöße gegen den Willen des Volkes die Harmonie und Einheit des Landes verletzten. Mohammadresa Chatami, der jüngere Bruder des Präsidenten, rechnete damit, dass die Reformer 60 Prozent der Stimmen erhalten haben. Der 40-jährige Urologe ist offenbar Wahlsieger in Teheran.

Das Parlament wurde bisher wie die meisten der staatlichen Institutionen von der konservativen Geistlichkeit beherrscht. Eine Niederlage der in der Vereinigung des Klerus (JRM) versammelten Konservativen, die politischen Gegner von Chatami, war von örtlichen Beobachtern schon vor den Wahlen vorausgesagt worden.

Vor allem Jugendliche und Frauen dürften nach 21 Jahren islamischer Revolution und der gegenwärtig repressiven Politik für den Reformkurs gestimmt haben. Die Jugend stellt die Bevölkerungsmehrheit: Mehr als die Hälfte der 62 Millionen Iraner sind jünger als 25 Jahre. Wahlberechtigt waren alle über 16-Jährigen. Unter den etwa 5800 Kandidaten für die 290 Parlamentssitze waren 424 Frauen, mehr als je zuvor seit Bestehen der Islamischen Republik. Rund 80 Prozent der 38 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Die Kandidaten standen nur mit ihrem Namen und ohne Parteiangabe auf dem Stimmzettel. Präsident Chatami dankte der Bevölkerung bereits in einer Erklärung für ihre starke Wahlbeteiligung.

US-Außenministerin Madeleine Albright hat die hohe Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in Iran als Zeichen für Demokratisierung begrüßt. Der «Enthusiasmus», mit dem das iranische Volk zur Wahl gegangen sei, sei ein Beweis für die «wachsende Bedeutung der Demokratie» in dem islamischen Gottesstaat, sagte Albright gestern bei einem Besuch in der albanischen Hauptstadt Tirana.

Der iranische Außenminister Kamal Charrasi erklärte in Malaysia, Chatami werde seinen bisherigen Kurs des Engagements für Entspannung, des Dialogs und der aktiven Gestaltung der auswärtigen Beziehungen fortsetzen. Offen sei man auch für Gespräche mit den USA