junge Welt, 19.2. (aus der Wochenend-Beilage)

Gegen den »humanitären« Militarismus

Eine Streitschrift des Komitees für Grundrechte und Demokratie über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien

*** Wolf-Dieter Narr, Roland Roth, Klaus Vack: Wider kriegerische Menschenrechte. Eine pazifistisch- menschenrechtliche Streitschrift. Beispiel: Kosovo 1999 - NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Dezember 1999, 105 Seiten. DM 12. Zu beziehen bei: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln ***

Bücher zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien - gibt es davon nicht schon genug? Diese Frage stellen sich zumindest Wolf- Dieter Narr, Roland Roth und Klaus Vack, alle im Komitee für Grundrechte und Demokratie engagiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß ihre Ausführungen unter dem Titel »Wider kriegerische Menschenrechte - Eine pazifistisch- menschenrechtliche Streitschrift« durchaus eine Berechtigung haben. Und tatsächlich verrät ja schon der Titel des Buches, daß es nicht nur um eine Analyse des NATO-Krieges und seiner propagandistischen Begleitmusik gehen soll, sondern die Autoren mit einem »Bekenntnis« zu dem »Dreigestirn Menschenrechte, Demokratie und Pazifismus« an einer Position festhalten wollen, die von Teilen der Friedensbewegung in den letzten Jahren über Bord geworfen wurde.

Wir erinnern uns: Um Menschenrechten und Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, so die offizielle und auch von ehemals Friedensbewegten geteilte Position, sei es unter Umständen nötig, Bomben zu werfen: Und genau diese Notwendigkeit bestand, so wollen es uns viele bis heute weismachen, im Kosovo. Zu den politischen Hintergründen der Entscheidung der NATO, einen Krieg gegen Jugoslawien zu beginnen, zur bekundeten Angst vor einem Gesichtsverlust und vor einem vermeintlich bestehenden öffentlichen Druck, »endlich dazwischenzuschlagen« usw., ist in der Tat in einigen bereits erschienenen Büchern zu diesem Krieg Wichtiges nachzulesen.

Und so steht hier eine andere Intention im Vordergrund: In leicht verständlicher Sprache die Widersprüche in den offiziellen Erklärungen aufzuzeigen, die Propaganda und Lügen bloßzustellen und dabei mit einer eigenen, streitbaren Position, die in den letzten Jahren von einer kleiner werdenden Zahl von Menschen geteilt und offensiv vertreten wird, nicht hinterm Berg zu halten. Und da ist die Ausgangsposition eine ernüchternde Zustandsbeschreibung: »Der am 24. März 1999 von den NATO-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien begonnene Krieg bezeugte mehr als sonst eine Katastrophe der politischen Urteilskraft. (...) Die offizielle Staatspropaganda verkündete, die Mächte, die den Krieg anfingen und durchführten, hätten ihn vermeiden wollen. Ein Mangel an Urteilskraft veranlaßte nicht wenige, die kriegerische Intervention der NATO zu verlangen. Schriftsteller, Philosophen, Sozialwissenschaftler und andere. Wortkräftig unterstützten sie den Krieg. Als Mangel an Urteilskraft erweist sich gleichfalls die Art und Weise, wie der >gewonnene< Krieg friedlich genutzt werden soll«.

Der Krieg also auch als ein Krieg um Worte, um die »gültige Definition«, kurz um die (vor-)herrschende Meinung. Und in dessen Folge eine irreführende »Besetzung« von Begriffen und eine Umdeutung bestimmter Wörter, die sogar Intellektuelle »erreicht«. Das ist zwar keine neue Erkenntnis und ist auch keine Besonderheit des Krieges gegen Jugoslawien (es findet bei derartigen Ereignissen stets ein Kampf an der »Heimatfront« statt), markiert als Ausgangsposition aber eine klare Basis, auf der die eigene Position entwickelt werden kann. Und eine solche Basis sei deshalb schon bitter nötig, so Narr, Roth und Vack, weil dieser Krieg »eine Fülle von Faktoren« enthält, die zu einer korrekten Beschreibung dazugehören, und daraus »läßt sich kein roter Faden herausziehen, der die miteinander verhedderten Ereignisse kausal aneinanderzureihen vermöchte«. Wer zu den geschichtlichen Hintergründen der »deutschen Anerkennungspolitik« unter Genscher, der Internationalisierung der Konflikte auf dem Balkan in den letzten Jahren etwas erfahren möchte, muß sich in den zahlreichen anderen Büchern zum Thema informieren - bei Narr, Roth und Vack wird er dazu nur kurze Randbemerkungen und keine tiefergehende Analyse finden.

Konsequent um Denkanstöße und eine streitbare Positionierung bemüht, stellen die Autoren aber einige Fragen, die einen hohen »Gebrauchswert« haben: Wie sah der NATO- Krieg aus Sicht informierter Bürgerinnen und Bürgern aus? Was hatte der Krieg mit Menschenrechten und Völkerrecht bzw. mit dem Bruch des Völkerrechts zu tun? Was hätten wir alle von Anfang an wissen können? Und genau diese Fragestellungen und einige Antworten darauf wollen die Autoren als Orientierungspunkte verstanden wissen. Diese Art, sich dem Krieg zu »nähern«, kann den zu dieser Thematik arbeitenden Gruppen und Personen durchaus eine Hilfe sein.

Nicht Beiträge, die den wissenschaftlichen Diskurs zum Thema anreichern oder nur auf das Interesse einer ganz speziellen Leserschaft stoßen, sind in der Streitschrift zu finden. In der »Tradition« der Bürger-Informationen, wie sie seit Jahren vom Komitee für Grundrechte und Demokratie zu verschiedenen Themen herausgegeben werden - also mittels kleiner, preiswerter Broschüren und einer allgemeinverständlichen Sprache möglichst viele Menschen zu erreichen -, haben die Autoren sich des Themas angenommen.

Was den Namen Streitschrift letztlich rechtfertigt, ist das Kapitel »Irrlichter der Orientierung«. Ob die Positionen anderer Intellektueller wie Ulrich Beck, Jürgen Habermas und Michael Th. Greven Orientierungspunkte oder Irrlichter der Orientierung sind, darüber lohnt es sich zu streiten. Denn tatsächlich sind derartige Beiträge aus Sicht der Autoren ein Teil des Problems: der wenig reflektierten Reproduktion herrschender Meinung.

Bei den Folgen können wir an den Anfang des Buches zurückblättern: Mangel an politischer Urteilskraft, Umdeutung von Begriffen, der Krieg als Summe von »Kollateralschäden«. Der Krieg »wütete« auch in vielen Köpfen mit erschreckenden Konsequenzen.

Thomas Klein