Südeutsche Zeitung, 18.2.2000

Das Arbeitsverbot soll fallen

Bundesregierung will Wartefrist für Asylsuchende

Kompromiss zwischen Interessen der Flüchtlinge und Möglichkeiten des Stellenmarktes

Von Thorsten Koch

Die Bundesregierung plant, das Arbeitsverbot für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge zu lockern: Im Gespräch ist eine 18- bis 24-monatige Wartefrist. Mehrere Sozialgerichte - in der ersten Instanz - hatten die Weisung des Bundesarbeitsministeriums vom Mai 1997, Flüchtlingen die Arbeit generell zu versagen, für rechtswidrig erklärt. In dem Jahr hatten noch etwa 60 000 Asylbewerber erstmals eine Arbeitserlaubnis bekommen. Doch dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehen die Pläne der Regierung nicht weit genug. Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte lehnt selbst einen zeitweiligen Beschäftigungsstopp ab: Flüchtlinge verdienten ein menschenwürdiges Leben. "Grundsätzliche Arbeitsverbote für bestimmte Personengruppen sind überflüssig", schrieb er an Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Denn die Befürchtung, Deutsche würden verdrängt, sei "historisch unbegründet": So sei zwischen 1985 und 1990 die Zahl der Arbeitslosen um 420 000 gesunken, obwohl zugleich 260 000 Ausländer mehr gemeldet worden seien.

Für "weiterhin sinnvoll" hält es der DGB allerdings, dass die Arbeitsämter "Arbeitsmarkt-Inländern" den Vorrang geben: Wenn ein Deutscher, Europäer oder anerkannter Ausländer bereit ist, einen Job anzunehmen, bekommt er und nicht der Asylbewerber den Zuschlag. Diese "sozialverträgliche Steuerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt reicht aus", meinte Schulte. Drei Viertel der Arbeitsgenehmigungen werden bereits nach diesem System erteilt, vor allem im Reinigungs- und Gaststättengewerbe. Deutsche seien für "unangenehme Jobs" kaum zu haben.

Indessen zeichnet sich ein Streit zwischen dem Arbeits- und dem Innenministerium ab. Am heutigen Freitag will Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier zwischen den Ressorts vermitteln. Riester sagte, er wünsche angesichts der Arbeitslosigkeit einen "vertretbaren Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Flüchtlinge" und einem "arbeitsmarktlich verantwortlichen Zugang". Kirchliche Stellen argwöhnen, das Innenministerium verfechte eine fünfjährige Wartefrist - nach deutschem Recht die mögliche Höchstgrenze. Auf Anfrage der SZ lehnte das Innen-Ressort jede Stellungnahme ab. Cornelie Sonntag-Wolgast, jetzt als Staatssekretärin zuständig für Asylangelegenheiten, warnte noch ein Jahr vor dem Regierungswechsel in Bonn: Durch Arbeitsverbote erhielten jene Zulauf, "die Asylbewerber als Schmarotzer einstufen, die nichts tun und uns allen auf der Tasche liegen". Arbeitsverbote seien "unaufrichtig und populistisch".

"Widerstreitende Interessen"

Der Berliner SPD-Parteitag im Dezember hatte beschlossen, das bisherige Arbeitsverbot ganz zu kippen - entgegen dem Vorschlag der Parteitags-Regie, den Antrag an die Bundestagsfraktion zu überweisen. Deren innenpolitischer Sprecher Dieter Wiefelspütz macht "widerstreitende Interessen" aus: Einerseits seien da die Menschenwürde und die Entlastung der Sozialkassen, andererseits wolle man keine "Anreize zur Einreise" schaffen und frage sich: "Überdehnen wir nicht die Integrationsbereitschaft der Bevölkerung?" Der jetzige Zustand jedenfalls sei "auf keinen Fall aufrecht zu erhalten". Bei zwei Jahren Wartezeit nähme der Arbeitsmarkt schrittweise 200 000 Flüchtlinge auf, das Arbeitsministerium spricht von 3000 pro Monat.

Wie viele Asylbewerber tatsächlich Arbeitserlaubnisse erhalten werden, kann selbst die Bundesanstalt für Arbeit nicht abschätzen: "Wir haben keine differenzierten Statistiken auf diesem Gebiet." Ein Argument, Wartefristen einzuführen, liegt auch im monatlichen Arbeitsmarktbericht Bernhard Jagodas begründet: Wer zeitweise einem Arbeitsverbot unterliegt, steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und taucht deshalb nicht in der Arbeitslosenstatistik auf.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne) erwartet, dass höchstens 80 000 Flüchtlinge von der Senkung des Arbeitsverbots auf zwei Jahre profitieren. Sie verlangt, das Arbeitsverbot - entsprechend dem Asylverfahrensgesetz nach den ersten drei Monaten - zu streichen und zu den Bestimmungen vor dem Mai 1997 zurückzukehren, als es nur die Vorrangprüfung gab. "Man kann nicht nach Integration rufen und den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren", sagte sie. Vor drei Jahren hätten mehrere Ressorts ihr Veto gegen das Arbeitsverbot des damaligen Ministers Norbert Blüm (CDU) eingelegt, worauf er dies per Rundschreiben "eigenmächtig durchgepaukt" habe. Wenn nun auch Rot-Grün sich weigere, Asylbewerber ihren Unterhalt "prinzipiell selbst verdienen" zu lassen, missachte sie den Asylkompromiss: Er sieht vor, dass Asylbewerber tunlichst nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein sollen.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble (CDU) sieht das anders. "Wer Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis geben will, schafft neue Anreize zum Kommen. Das geht zu Lasten von Ländern und Kommunen", sagte er. Aus dem gleichen Grund verwarf sein Bremer Kollege Bernd Schulte (CDU) die Pläne der Bundesregierung als "töricht". Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass durch die Aufhebung eines früheren Arbeitsverbots 1991 die Asyl-Zugänge kaum stiegen. Der schleswig-holsteinische Innenminister Eckehard Wienholtz (SPD) vermutet, Arbeitsverbote gegenüber Flüchtlingen dienten allenfalls der "Erleichterung der Aufgabenerfüllung" einer überlasteten Arbeitsverwaltung, die sich so die Suche nach Bevorrechtigten erspare. "Um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, kann man Einkommen auf die Sozialleistungen für Asylbewerber anrechnen", führt er ins Feld.

Die FDP möchte Arbeitsgenehmigungen vollkommen abschaffen. "Dadurch würde nicht nur ein enormer bürokratischer Aufwand entfallen, sondern auch ein Abwandern in die Schattenwirtschaft verhindert", meinte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag, Dirk Niebel. Auf dem Schwarzmarkt seien Flüchtlinge schutzlos, das fördere Lohndumping.