Tagesspiegel, 18.2.2000

Parlamentswahlen im Iran

Keine Wahl - Präsident Chatamis Reformkurs ist unumstritten.

Das wissen sogar die Konservativen und halten religiöse Slogans zurück

Birgit Cerha

Ein tiefblauer Himmel, darunter der schneebedeckte Gebirgszug des Alborz, an dessen Fuß Teheran liegt, im Vordergrund ein Tulpenfeld: Das Bild einer heilen Umwelt, von Frieden und Harmonie vermittelt dieses Wahlplakat, das die "Diener des Aufbaus" (HKS) überall in Irans Hauptstadt geklebt haben. "Wohlstand, Sicherheit und Friede", lautet ihr Motto. Die Zentrumstechnokraten der HKS, politische Kinder des mächtigen Ex-Präsidenten Rafsanjani, hatten 1997 einen entscheidenden Beitrag zu Präsident Chatamis hohem Wahlsieg geleis- tet. Jetzt haben sie Rafsanjani an die Spitze ihrer Kandidatenliste für die Parlamentswahlen am heutigen Freitag gesetzt und sich damit den Zorn der Islamischen Linken, der Hausmacht Chatamis, zugezogen. Ein in den Medien emotional ausgetragener Streit über die Verantwortung für Irans Wirtschaftsmisere spaltet Chatamis einst so siegreiche Koalition. Die HKS schiebt die Schuld dem Präsidenten, dessen zögernder Wirtschaftspolitik, zu. Die Reformbewegung des "2. Khordad" (benannt nach jenem Tag des iranischen Kalenders, an dem Chatami den Sieg errang) sieht die Wurzeln des Übels dagegen in der Amtszeit Rafsanjanis.

"Ich will leben", ist auf einem anderen Poster der HKS zu lesen. "Gerechtigkeit, Spiritualität und Freiheit" verspricht die "Front zur Beteiligung an einem islamischen Iran", zu der sich die moderne islamische Linke und andere Reformer zusammengeschlossen haben. Von Islam und religiösen Werten, die die Propaganda der geistlichen Herrscher seit zwei Jahrzehnten dominierten, war im Wahlkampf kaum etwas zu bemerken. Selbst die Konservativen haben zur Kenntnis genommen, dass die Bürger der so lange auf sie niedergeprasselten religiösen Slogans überdrüssig sind. Mit Islam lassen sich heute kaum noch Stimmen gewinnen.

So tragen auch die Konservativen, die sich zur "Koalition der Linie des Imams und des Führers" (Revolutionsführer Chomeni und sein Nachfolger Chamenei) zusammengeschlossen haben, in ihren Parolen den Hauptanliegen der Menschen Rechnung: mehr Wohlstand, mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit. Die Konservativen haben zahlreiche Wahlsprüche ihrer Gegner übernommen und tragen so zur Verwirrung bei.

Ohnedies dürften die Iraner beim heutigen Urnengang ziemlich überfordert sein. In Teheran etwa haben sie aus einer Liste von rund 700 Kandidaten 30 auszuwählen. Insgesamt bewerben sich rund 5500 Männer und 500 Frauen - so viele wie noch nie - um die 290 Sitze im Parlament, den Majlis. Die offizielle Wahlkampagne war auf sechs Tage begrenzt. Plakate durften keine Porträts zeigen, die Kandidaten mussten sich meist mit Flugblättern in maximaler Größe von 20 x 50 cm beschränken. Diese Einschränkung der Wahlwerbung hatten die Konservativen durchgesetzt, um einen Sieg der Reformer zu erschweren.

Auch führende Männer um Chatami, allen voran der hochpopuläre Reformideologe Abdoulla Nuri, dürfen sich nicht zur Wahl stellen. Nuri sitzt wegen "Beleidigung des Islam" im Gefängnis. Andere Reformer sowie islamische Nationalisten wurden vom erzkonservativen "Wächterrat" ausgeschlossen. Der Großteil der Reformkandidaten ist der Öffentlichkeit also unbekannt.

Dennoch prognostizieren Umfragen, dass es den Konservativen nicht gelingen wird, eine ihrer wichtigsten Bastionen für sich zu retten. Durch ihre Mehrheit in den Majlis konnten sie Chatamis Reformprogramm bisher entscheidend blockieren. Doch in Iran ist stets mit politischen Überraschungen zu rechnen. Durch das Auswahlverfahren des "Wächterrates" ist zwar der demokratische Charakter dieser Wahlen eingeschränkt, Manipulationen an den Urnen können aber weitgehend ausgeschlossen werden.

Gleichgültig wie das Wahlergebnis ausfällt: Die Demokratisierung Irans lässt sich nicht mehr aufhalten, allenfalls verzögern. Denn Chatami hat, wie er es selbst einmal ausdrückte, "den Wert der Freiheit in der Gesellschaft institutionalisiert". Dass sich selbst seine Gegner in ihrer Wahlwerbung dieser Formel bedienen, beweist ihre Kraft.