Die Presse (Wien), 18.2.2000

"Wenn Khatamis Reformer siegen, wird es große Änderungen geben"

Irans Konservativen ist es nicht gelungen, die Armen für die heute, Freitag, stattfinden Parlamentswahlen zu mobilisieren. Doch das Reformlager ist gespalten.

Von unserem Mitarbeiter JAN KEETMAN

TEHERAN. Ali hat einen kleinen Laden im Zentrum Teherans und ist irgendwie Elektriker. Eigentlich hat er es ja nicht gelernt, doch er repariert mit seinen großen Händen alles, was man ihm bringt oder wozu er gerufen wird. Ob das Klo verstopft ist, die Dachluke klemmt oder der Kassettenrekorder Bänder vernudelt, der Mann mit den kräftigen Schultern und dem knabenhaft verlegenen Lächeln sorgt für Abhilfe. Wählen ist Ali nie gegangen, außer vor drei Jahren, als er half, den Reformer Mohammed Khatami in den Präsidentensessel zu hieven. Am Freitag will Ali zusammen mit seiner ganzen Familie und all seinen Freunden wieder zur Wahl gehen und diesmal Khatami auch eine Mehrheit im Parlament verschaffen. Unter dem bisherigen Regime sei die Lage der Armen doch nur schlechter geworden, meint Ali. Da habe auch Khatami bisher wenig tun können, denn die Regierung kontrolliere nur einen Teil der Einnahmen. Wenn ein iranisches Auto für 56 Millionen Rial (94.353 S, 6857Euro) verkauft werde, so gingen davon 20 Mill. an das Amt des religiösen Führers und 10 Mill. an die Revolutionswächter (Pasdaran).

Rafsanjanis Schachzüge

Den Vorgänger Khatamis, den Ex-Präsidenten Hashemi Rafsanjani, der in der Hoffnung, das Amt des Parlamentssprechers zu ergattern, bei den Wahlen mit etwas windigen Schachzügen angetreten ist, hält Ali einfach für korrupt. "Woher hat Rafsanjani seinen Reichtum?", fragt Ali und fährt fort: "Rafsanjani sagt, sein Vater sei reich gewesen, doch das stimmt nicht, er hat sich 16 Jahre lang bereichert. Und nun sagen alle Leute, daß Rafsanjani der viertgrößte Kapitalist der Welt ist." Faize arbeitet als Putzfrau. Sie ist nicht mehr ganz jung, klein und etwas in die Breite gegangen. Doch ihre Augen sind voller Leben, und ihre Worte weiß sie mit schwungvollen Handbewegungen zu untermalen. Auch Faize geht nicht oft zur Wahl, einmal ist sie gegangen, "als Khomeini zurückgekommen ist", das nächste Mal wegen Khatami. Diesmal hatte sich die Familie entschlossen, nicht zur Wahl zu gehen. Doch dann hat man es sich anders überlegt. Sie legt aber Wert darauf, daß sie "nur Khatamis Bruder und seine Unterstützer" wählen wird. "Die andern denken überhaupt nicht an die unteren Schichten und stecken alles in die eigene Tasche", meint sie. Was Khatami auch tue, würde vom religiösen Führer Khamenei, von Parlamentssprecher Nuri und von Rafsanjani, "von diesen dreien", verhindert. "Einmal hat es Khatami selbst gesagt", erzählt Faize. "Sie halten meine Hände gefesselt, und ich kann nichts tun", zitiert sie den Präsidenten. Mohammed-Reza arbeitet als Bote. Zur Wahl wird der schmächtige Mann mit dem geschwungenen schwarzen Schnurrbart nicht gehen, denn er mag die herrschenden Verhältnisse überhaupt nicht. "In der Politik hat jeder jemanden, der ihn vertritt, nur die Schwachen haben niemanden." Außer dieser fundamentalen Kritik hat er aber doch auch eine Meinung zu den heutigen Wahlen. Wenn es keinen Wahlbetrug gebe, so werde die dem Präsidenten nahestehende Moscharekat-Front gewinnen, und er fügt noch hinzu: "Wenn Khatami einen vollständigen Sieg erringt, wird es große Veränderungen geben, und das wird sehr gut sein." Drei Gespräche herausgegriffen aus vielen, die zeigen, daß die Wahltaktik der Konservativen, der Versuch, die Armen und die untere Mittelschicht für sich zu gewinnen, nicht aufgeht. Das wissen die Konservativen mittlerweile wohl auch selbst. In den letzten Tagen vor der Wahl riefen sie zu keiner einzigen Wahlveranstaltung mehr auf. Abgesehen von ein paar Transparenten und Handzetteln sind sie in der Schlußphase des Wahlkampfes nicht mehr wahrnehmbar. Behruz Afkhami, bekannter Filmemacher und nun Kandidat der Moscharekat-Front, meint, daß sich der Wahlkampf verschoben habe und nun zwischen den gemäßigten Reformern um Rafsanjani und der radikaleren Moscharekat-Front ausgetragen werde. "Es gibt ein Gefühl, daß Rafsanjani eine Koalition mit den Konservativen plant", formuliert er vorsichtig. Einiges über die Beschaffenheit des Reformlagers lehrt bereits ein Blick auf die Kandidatenlisten. In Teheran, wo 30 der 290 Abgeordneten gewählt werden, hat die Reformbewegung nur zwei Kandidaten, die von allen ihren 18 Gruppen unterstützt werden, während die Konservativen mit einer einheitlichen Liste antreten, die auch noch von Rafsanjani angeführt wird. Der Süden Teherans hatte für Khomeinis Revolution eine große Bedeutung. Hier liegt der Bazar, dessen Händler und Monopolisten Khomeinis Bewegung heimlich finanzierten, und hier, zwischen Gewerbegebieten, ist traditionell der Wohnort der Armen, jener Menschen, die wenig zu verlieren haben und die in der heißen Phase des Aufstandes gegen den Schah, wie bei allen Revolutionen, eine große Rolle spielten. Doch auch im Süden kann vor allem die Moscharekat-Front die Massen mobilisieren. Dies zeigen mehrere tausend junge Anhänger der Front, die sogar noch ohrenbetäubender als im Norden Parolen gegen Rafsanjani rufen. Zwischen Lastwagen und Werkstätten kämpft sich das Taxi den Weg zurück Richtung Norden, bis es ungefähr in der Mitte Teherans völlig im Stau steht. Der Taxifahrer fängt an, auf die Regierung zu schimpfen, die all diese neuen Autos zuläßt, ohne an den verstopften Verkehr zu denken - seine uralte Kiste scheint an dem Stau völlig unschuldig zu sein. Wie ein Konfettiregen

Dann wendet sich sein Zorn den Handzetteln der Kandidaten zu. Diese meist handtellergroßen bunten Blättchen, die als eine Art Spickzettel gedacht sind, damit am Wahltag auch der richtige Name und die richtige Nummer auf dem Wahlzettel erscheint - und die einige clevere Kandidaten auf der Rückseite mit Nützlichem wie einem Minikalender oder einer kleinen Meßlatte versehen haben - überschwemmen die Gehsteige, als sei ein Konfettiregen über die gesamte Innenstadt hereingebrochen. Für unseren Taxifahrer sind sie einfach Schmutz. Er glaubt nicht daran, daß überhaupt gewählt wird, in Wirklichkeit würden die Parlamentarier doch alle heimlich vom religiösen Führer ernannt.