Berliner Zeitung, 18.2.2000

Die Lage ist katastrophal

Widerstand gegen Reformen

Javad Kooroshy

BERLIN/TEHERAN, im Februar. Im iranischen Wahlkampf haben sich viele politische Parteien und Gruppen vorgestellt, ein Programm für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hatte keine von ihnen. Dabei ist die ökonomische Lage katastrophal. Das belegen die jüngst offiziell veröffentlichten, vorläufigen Ergebnisse des zweiten Fünfjahresplans, der im März 2000 endet. Statt 5,1 Prozent wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich nur um rund 3,2 Prozent. Die Inflationsrate ist mit knapp 25 Prozent doppelt so hoch wie erwartet, die Arbeitslosenrate stieg seit 1995 von 9,4 Prozent auf 16 Prozent. Doch die amtlichen Zahlen schönen das Bild: Inoffiziell soll die Inflationsrate bei 40 Prozent und die Arbeitslosenrate bei 30 Prozent liegen. Nur 45 Prozent der geplanten 660 000 Arbeitsplätze pro Jahr wurden tatsächlich neu geschaffen. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich extrem vertieft.

Als eine der wichtigsten Ursachen für den ökonomischen Niedergang gilt, dass der Staat seit der Revolution von 1979 fast alle Bereiche der Wirtschaft kontrolliert. Zudem sind die Industrieanlagen veraltet. Experten schätzen den Kapitalbedarf Irans für die Modernisierung und den Ausbau der Erdölindustrie auf rund 30 Milliarden Dollar, für den gesamten Industriesektor auf 100 Milliarden. Durch Selbstisolierung und Embargo sind Irans Kontakte zum Weltmarkt aber gekappt. Rohstoff-Importe und Agrargüter-Exporte (zum Beispiel Safran, Pistazien, Datteln, Walnüsse, Zitronen) sind rückläufig.

Erste Reformversuche von Präsident Hashemi Rafsandschani in seiner Amtszeit von 1989 bis 1997 scheiterten am Widerstand der Konservativen, an Korruption, Veruntreuung öffentlicher Mittel und Machtmissbrauch. So entwickelte sich das Geheimdienst-Ministerium zu einem Wirtschaftsimperium, das die Informationen seiner Abhörtätigkeit nutzte, um bei Ausschreibungen Konkurrenten über- oder unterbieten zu können.

Als Präsident Chatami sein Amt 1997 übernahm, befand sich die Wirtschaft an einem Tiefpunkt: Auslandsschulden mussten beglichen werden, der Erdölpreis fiel. Hilfe brachte eine erste, außenpolitische Initiative: Chatami verbesserte die Kontakte zu Saudi-Arabien; die OPEC-Staaten einigten sich auf eine gemeinsame Politik und der Ölpreis zog daraufhin wieder an.

Dass Chatami bisher keine grundlegenden Wirtschaftsreformen durchsetzen konnte, liegt nicht nur am Widerstand seiner Gegner. Auch führende Politiker aus Chatamis Lager sind über die Wirtschaftsentwicklung zerstritten. Trotzdem waren wichtige Reformvorschäge im Entwurf des neuen Fünf-Jahr-Plans enthalten: Die Reprivatisierung von Staatsbetrieben soll beschleunigt werden. Die mächtigen, autonomen Stiftungen - religiöse Einrichtungen, die über ein großes Wirtschaftspotential sowie Kapital verfügen - sollen der Regierung unterstellt werden. Auslandsinvestitionen sollen erleichtert werden.

Nachdem der Plan mit großen Abstrichen das Parlament passiert hatte, verwarf der "Wächterrat", der die Einhaltung der Verfassung kontrolliert, weitere Vorhaben: Das Grundgesetz untersagt die Privatisierung einiger Industriezweige und verbietet Investitionen von Ausländern. Grundlegende Wirtschaftsreformen sind daher nur möglich, wenn die Verfassung geändert wird. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Parlaments.