Berliner Zeitung, 18.2.2000

Eine schicksalhafte Entscheidung

Martina Doering

BERLIN, 17. Februar. "Das Resultat dieser Wahlen wird über die Zukunft des Regimes und der Revolution entscheiden." Mit diesen Worten forderte Irans Präsident Chatami, der Hoffnungsträger der Reformer, die Bürger zur Beteiligung an den Parlamentswahlen auf. Noch besitzen die Konservativen die Mehrheit in der Volksvertretung. Doch am 18. Februar haben die Anhänger eines liberalen Reformkurses eine reale Chance, das zu ändern. Die Islamische Republik steht damit an einem Wendepunkt.

Vor zwanzig Jahren hatte die iranische Revolution das Land von Grund auf verändert, indem Ajatollah Chomeini die Religion zum Staatsprinzip erhob. Doch dieser Schritt hatte auch international Auswirkungen: Die Revolution wurde zum Vorbild für eine Reihe fundamentalistischer Bewegungen und Terrorgruppen, die mit der Losung "Der Islam ist die Lösung" die Regierungen in ihren Ländern angriffen. Die Islamische Republik geriet weltweit in die Isolation. Im Innern wuchs allmählich der Druck auf die Mullahs.

In diese Situation haben sich die islamischen Revolutionäre durch widersprüchliche Entscheidungen selbst manövriert. So gaben sie dem Land zwar eine der modernsten Verfassungen in der islamischen Welt, öffneten dem Volk den Zugang zu den Bildungseinrichtungen und führten demokratische Institutionen ein. Zugleich aber gingen sie brutal gegen oppositionelle Kräfte vor, grenzten die Frauen aus und errichteten ein System, in dem religiöse Instanzen die vom Volk gewählten Organe entmachteten.

Den Beweis dafür, dass man mit dem Islam erfolgreich einen Staat lenken kann, blieben die Mullahs schuldig. Das Versprechen, eine gerechtere Gesellschaftsordnung aufzubauen, lösten sie nicht ein. Vielen Iranern geht es schlechter als vor der Revolution. Missmanagement, Ölpreisverfall, der Krieg mit Irak und das rasante Bevölkerungswachstum haben das Land ruiniert. Der Unmut wächst, Forderungen nach mehr Rechtssicherheit, individuellen Rechten und Meinungsfreiheit werden offener denn je gestellt. Für die meisten Jugendlichen zählen nicht mehr die Ideale der Revolution. Sie fragen, was das religiöse Regime ihnen zu bieten hat. Die Frauen haben sich über die Grenzen hinweggesetzt, die von Chomeini gezogen worden waren. Sie wollen stärker an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligt sein. Auch Teile des Klerus äußern Kritik. Ranghohe Kleriker, die von Anbeginn die Einmischung der Religion ins Alltagsgeschehen ablehnten, werden jetzt selbst von einstigen Mitstreiter Chomeinis unterstützt. Ohnehin sind nur fünf Prozent der rund 300 000 geistlichen Würdenträger politisch aktiv.

Die unterschiedlichen Meinungen, Forderungen und Ansprüche waren schon vor der Wahl Mohamed Chatamis zum Präsidenten vorhanden. Seither aber polarisiert sich die iranische Gesellschaft in zwei Lager - das der Konservativen und das der Reformer.

Bisher haben die konservativen Kleriker erfolgreich ihre Machtpositionen und -mittel genutzt, um Reformen zu blockieren. Massive Wahlmanipulationen aber sind nach bisherigen Erfahrungen nicht zu erwarten: Es ist daher tatsächlich die Entscheidung der Wähler, ob die Konservativen ihre Mehrheit im Parlament verlieren. Auch wenn dessen Befugnisse eingeschränkt sind, würde ein Sieg dem Chatami-Lager Auftrieb geben, könnten Verfassungsänderungen verabschiedet, Reformen und die Öffnung des Landes intensiviert werden.

Dann jedoch wird sich eine der grundsätzlichsten Fragen stellen: Ob Demokratie und Islam überhaupt kompatibel sind; ob die Islamische Republik die Verbindung westlicher Werte und islamischer Ideale zu überleben im Stande ist.