Die Welt, 16.2.2000

EU-Beitritt innerhalb von 15 Jahren

Der türkische Außenminister Cem sieht Ankaras Zukunft in der Union

Von Hildegard Stausberg

Berlin - "Es war für die Türkei von großer Bedeutung, dass die EU ihr in Helsinki eine Perspektive für eine Mitgliedschaft eröffnet hat. Gegenüber den anderen Kandidaten haben wir Vorteile, denn die Türkei ist das einzige Land, das - obgleich nicht EU-Mitglied - schon eine Zollunion mit der EU unterhält". Diese Meinung vertrat der türkische Außenminister Ismail Cem in einem Gespräch mit der WELT. Cem meinte, in bezug auf die politischen Kriterien, die für den Beitritt nötig seien, gäbe es "noch Verzögerungen auf einigen Gebieten", aber man bemühe sich, diese "möglichst bald" zu erfüllen. Er könne zwar "keinen genauen Zeitrahmen" geben, aber "wir werden der EU in nicht allzu ferner Zukunft beitreten können". Keinesfalls werde dies "länger als fünfzehn Jahre dauern".

Cem gab zu, dass es in der Kurdenfrage weiterhin "große Unterschiede in der Sichtweise" zwischen der Türkei und den EU-Staaten gebe. Die Türkei sei tradtionell ein toleranter Staat und kenne nur einen Unterschied, nämlich moslemische und nichtmoslemische Mitbürger, mache aber keinen Unterschied bei der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Volksgruppen: "Wir wollen nicht, dass Rasse oder Volkszugehörigkeit bei uns eine Rolle spielt, wir wollen aber, dass alle Bürger unseres Landes mehr Rechte auf den verschiedensten Gebieten erhalten".

Cem sagte, "die Türkei ist dabei" die Todesstrafe abzuschaffen, im übrigen habe man sie seit 15 Jahren nicht mehr angewandt. Er selbst und eine Reihe Regierungsmitglieder sei "auf jeden Fall dafür". In Bezug auf die Pressefreiheit in seinem Lande meinte der Minister, dass es Punkte gebe, "wo wir diese noch weiter entwickeln müssen". Die Kritik westeuropäischer Regierungen über einen zu starken Einfluss des Militärs in der Türkei wies er zurück. Er behauptete, die Türkei habe fast alle Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg umgesetzt und er meint, dass der Gerichtshof in einigen Fällen berechtigte Kritik geäußert habe.

Ankara bemühe sich, Südostanatolien zu entwickeln. Allerdings bestünde dort ein tiefverwurzeltes Feudalsystem, das Entwicklungsprojekte erschwere - mit ein Grund für die Bildung terroristischer Vereinigungen dort. Er gab zu, dass die Staudammprojekte der türkischen Regierung vor allem zu Verstimmungen mit Syrien geführt hätten - nicht so sehr mit dem Irak. Bisher hätten diese Projekte aber keinem Nachbarland Schaden zugefügt. Im Gegenteil, die Türkei liefere mehr Wasser an Syrien als früher: "Wir nehmen die syrischen Bedenken ernst, glauben aber, dass sie unbegründet sind". In der ersten Märzwoche stünden zu diesem Thema Gespäche mit Damaskus an, bei denen man weitere Unklarheiten beseitigen wolle.

Cem meinte, dass sich in den letzten drei Jahren die Beziehungen der Türkei zu Syrien, zum Irak und auch zum Iran "durchaus positiv" entwickelt hätten. Vor allem mit Damaskus sei man sich im Kampf gegen den Terrorismus näher gekommen. In der Türkei sei das "Nothern Watch Kommando" der UNO stationiert, das sehe man in Bagdad natürlich nicht gern. Dennoch gebe es eine traditionelle Freundschaft zum Irak. Sein Land mache sich stark für das Aufheben der UN-Sanktionen, immer vorausgesetzt, Irak käme den UN-Sicherheitsauflagen nach.

Cem bekräftigte, das sich die Beziehungen zu Griechenland "sehr positiv" entwickelten. Zusammen mit dem griechischen Außenminister Georgios Papandreou halte man sich an eine "vorsichtig bedächtige" Linie: Man klammere die bestehenden Probleme nicht aus, aber man übertreibe sie auch nicht. "In unseren bilateralen Beziehungen werden wir in nicht allzuferner Zukunft unsere Schwierigkeiten überwinden können". Athen habe im Übrigen in Helsiniki eine für die Türkei positive Rolle gespielt - ebenso wie die Bundesrepublik. Er habe mit Papandreou schon vor Helsinki vereinbart, dass - sollte die Türkei den Status eines Beitrittskandidaten erhalten, Athen dem Land in Zukunft noch stärker helfen würde. "Wir können von deren Erfahrungen profitieren". In bezug auf Zypern meinte Cem, dass dies eine Angelegenheit der beiden dort lebenden Volksgruppen sei.

Cem meinte, dass die Beziehungen der Bundesrepublik zur Türkei "auf vielen Ebenen Fortschritte" gemacht hätten und lobte den deutschen Einsatz für die EU Kandidatur der Türkei. Das bilaterale Handelsvolumen sei auf zwölf Milliarden Dollar gestiegen. Er bestätigte, dass die Türkei 1000 deutsche Leopard-II-Panzer kaufen wolle, aber auch Gespräche mit anderen Ländern führe. Die deutsche Seite habe "solide Chancen", diese an die Türkei zu verkaufen, da man bisher gute Erfahrungen mit deutschen Panzern gemacht habe. Er bekräftigte, dass sich die Türkei "von außen" nicht werde unter Druck setzen lassen, eine Verbindung dieses Kaufs mit der offiziellen Abschaffung der Todesstrafe lehnte er ab.

Der türkische Außenminister bezeichnete die Beziehungen zu Israel als "gut". Das Handelsvolumen erreiche fast eine Milliarde Dollar, und man arbeite auf dem Gebiet der Verteidigungsindustrie zusammen. Allerdings werde dies von arabischer Seite "übertrieben" dargstellt: "Ähnliche Vereinbarungen haben wir mit über 24 anderen Ländern".