Nürnberger Nachrichten, 15.2.2000

Kommentar

Der leise Friede

Kurden haben dem bewaffneten Kampf abgeschworen

VON HELMUT PICKEL

Sieben kurdische Bürgermeister aus Südost-Anatolien, darunter die Stadtoberhäupter von Diyarbakir, Bingöl und Van, haben vergangene Woche - auf Einladung der "Gesellschaft für bedrohte Völker" - an einer denkwürdigen Konferenz in Hannover teilgenommen. Ihre zentrale Aussage lautete: "Wir suchen Partner beim Wiederaufbau unserer Heimat, die in den letzten 15 Jahren verwüstet wurde. Zugleich wollen wir einen Beitrag zur Integration der Türkei in die Europäische Union leisten."

Ob sich deutsche Städte finden werden, die zum Handschlag bereit sind, muss man abwarten - dass aber ein solcher Appell, die Türkei nach Europa zu führen, ausgerechnet von kurdischer Seite kommt, ist eine kleine Sensation. Denn er enthält die Botschaft, dass das kurdische Streben nach staatlicher Eigenständigkeit der Vergangenheit angehört: Nur noch innerhalb der real existierenden Türkei und nur noch gewaltlos wollen die Kurden von jetzt an um ihre legitimen Rechte kämpfen.

Öcalans Befehl

Der Mann, der diese Entwicklung mit in die Wege geleitet hat, sitzt in einer Zelle des Hochsicherheitsgefängnisses in Imrali, nicht weit von Istanbul entfernt, war einmal Ankaras "Staatsfeind Nummer eins" und ist wegen Hochverrats rechtskräftig zum Tod verurteilt. Abdullah Öcalan lebt nur noch, weil sich die Türkei dazu durchrang, vor der Vollstreckung des Urteils auf den Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu warten. Aber bereits im August erteilte er den Freischärlern seiner "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) den Befehl, den bewaffneten Kampf einzustellen - endgültig und ein für alle Mal.

Obwohl es in den anatolischen Bergen immer noch vereinzelte Gefechte zwischen PKK-Leuten und türkischen Soldaten gibt, räumt selbst Ankaras Staatspräsident Süleiman Demirel mittlerweile ein, dass sich Öcalans Guerilleros an das Wort ihres Meisters halten. Der Krieg, verkündete er dieser Tage bei einem Besuch im Südosten, sei "im Großen und Ganzen vorbei".

So spektakulär die Verhaftung Abdullah Öcalans vor genau einem Jahr in Kenia war - Geheimdienste kungelten, griechische Minister mussten zurücktreten, Demonstranten zogen eine Spur der Gewalt durch Europa, und die Türkei verfiel eine Zeitlang in hochmütigen nationalistischen Taumel -, so undramatisch vollzieht sich heute der Wandel im Kurdengebiet. Und gerade weil er so leise daherkommt, hat der Friede vielleicht eine Chance.

Kein Abkommen

In Diyarbakir, der einstigen PKK-Frontstadt, ist schon so etwas wie Normalität eingekehrt: Neue Restaurants und Kinos werden eröffnet, auch nach Einbruch der Dunkelheit wagen sich die Menschen wieder auf die Straße. Oben im Bergland treiben die Bauern ihr Vieh wieder auf Weiden, die sie seit Jahren nicht mehr zu nutzen wagten. In der Stadt Siirt ist der Ausnahmezustand bereits aufgehoben; die übrigen Provinzen sollen in Kürze folgen.

Natürlich wird es kein Friedensabkommen und keinen offiziellen Waffenstillstand zwischen Türken und Kurden geben, denn verhandelt hat Ankara mit den PKK-"Terroristen" nie. Trotzdem dürfte die türkische Regierung aufmerksam verfolgt haben, was der PKK-Kongress beschloss, der bis Ende Januar im kurdisch besiedelten Norden des Irak tagte - nämlich nicht nur, eingedenk der Öcalan-Mahnung, "das unwiderrufliche Ende des bewaffneten Kampfes", sondern darüber hinaus "den Aufbau einer gemeinsamen demokratischen Republik von Türken und Kurden auf dem Territorium Anatoliens und Mesopotamiens".

Der Krieg, der fast 35 000 Tote forderte, ist nach anderthalb Jahrzehnten vorüber. An der Art, wie sie im Frieden mit ihrer kurdischen Minderheit umgeht, wird die Türkei von ihren europäischen Partnern jetzt gemessen.