Berliner Zeitung, 14.2.2000

Der Kampf gegen Reformen in Iran

Martina Doering

Ob ein Kandidat bei Wahlen gewinnt oder verliert, liegt allein in Gottes Hand. Meinungsumfragen sei daher nicht zu trauen, meint Ayatollah Yazdi, einer der schärfsten Gegner des Reformkurses in Iran und bis Juli letzten Jahres Justizminister. Dass er Umfragen trotzdem ein bisschen Glauben schenkt, zeigte er mit einer seiner letzten Amtshandlungen. Im Juni 1999, einen Monat vor seinem Rücktritt, ließ er 30 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Iran verhaften. Ihnen wird Spionage für Israel vorgeworfen. Umfragen sagten zu diesem Zeitpunkt bereits einen Sieg der Reformkräfte bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr voraus.

Die Parlamentswahlen finden am 18. Februar statt. Von den 30 iranischen Juden sitzen heute noch 13 in Haft, gegen sie soll nach der Wahl der Prozess eröffnet werden. Werden sie für schuldig befunden, droht ihnen die Todesstrafe. Beide Ereignisse - die Wahl und der Prozess - stehen im Zusammenhang, beide können das Schicksal der Islamischen Republik Iran entscheidend beeinflussen. Denn die verhafteten Juden sind eine Art Geisel für den Fall, dass die Reformkräfte die Wahlen gewinnen. In den letzten drei Jahren ist einiges geschehen, was deren Sieg möglich macht.

Widerstand gegen Chatamis Kurs

Seit der Wahl von Präsident Mohammed Chatami im Mai 1997 haben sich die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen und gesellschaftlichen Gruppen in Iran zugespitzt. Chatami war mit den Versprechen angetreten, sich für größere bürgerliche Freiheiten, Rechtssicherheit und eine Öffnung des Landes einzusetzen. Für den konservativen Klerus und die Nutznießer des rigiden Systems war Chatamis Sieg eine unangenehme Überraschung. In der Folge versuchten sie, seine vorsichtigen Maßnahmen zur Reformierung des islamischen Systems mit allen Kräften zu behindern. Ein Beispiel dafür ist der Prozess gegen den Bürgermeister von Teheran, der Chatamis Wahlkampf unterstützt hatte. Eine Serie von Morden an Intellektuellen Ende 1998 diente dem Ziel, Angst zu verbreiten und die Außenpolitik des Präsidenten zu unterlaufen.

Trotzdem hat Chatami in den drei Jahren seiner Amtszeit einiges erreicht, haben die Konservativen an Terrain verloren. Die Zensur wurde gelockert. Viele neu zugelassene Zeitungen wurden zwar gleich nach ihrem Erscheinen auf dem Markt verboten, unter anderem Namen aber sofort wieder herausgegeben. Ein offener politischer Meinungsstreit entwickelte sich, oppositionelle Gruppen erhielten mehr Spielraum. Die Beziehungen zum Westen, selbst zu den USA, normalisierten sich langsam.

Geradezu einen Schock erlebten die Konservativen bei den Kommunalwahlen im Februar letzten Jahres. Zwar waren viele Kandidaten, die die Politik Chatamis unterstützen, zuvor vom zuständigen religiösen Gremium, dem "Wächterrat" abgelehnt worden. Doch die Zahl der Bewerber war einfach zu groß: Die Kommunalwahlen endeten mit einem Triumph der Reformer.

Todesurteile mit politischen Folgen

Im Parlament, das trotz komplizierter iranischer Machtstrukturen über weitgehende Befugnisse verfügt, geben die Konservativen noch den Ton an. Damit das so bleibt, hat der Wächterrat erneut viele Kandidaten gar nicht erst zugelassen. Trotzdem fürchten die Konservativen, dass sie auch diese Machtbastion verlieren - und haben deshalb schon lange vor der Wahl begonnen, für den Fall einer erneuten Schlappe vorzubauen. Eine dieser Präventivmaßnahmen war die Verhaftung der iranischen Juden vor rund einem Jahr durch Ex-Minister Yazdi. Sein Plan ist geradezu genial: Angenommen, die Reformer gewinnen die Wahl und unterstützen mit ihrer Arbeit den Kurs von Chatami - dann könnten Todesurteile im Prozess gegen die iranischen Juden die Situation gravierend verändern. Deren Hinrichtung als "Spione der Zionisten und Imperialisten" würde den Sieg der Reformer bedeutungslos werden lassen, Iran würde stärker isoliert sein, als es das je war.

Denn die Lage jüdischer Minderheiten wird von der internationalen Öffentlichkeit äußerst aufmerksam verfolgt. Todesurteile gegen iranische Juden hätten einen negativen Einfluss auf die Beziehungen Irans zu den europäischen Staaten, zu den USA aber auch zu jedem Nachbarstaat Irans, der zur EU oder zu den USA Kontakte pflegt. Niemand wird oder kann dann noch differenzieren zwischen Fraktionen mit unterschiedlichen politischen Programmen oder zwischen den Zielen von Mohammed Chatami und denen von Ajatollah Chamenei. Der konservative Klerus hätte dann zwar den Kampf um das iranische Volk und insbesondere die Jugend verloren - aber die Schlacht um den Erhalt ihrer Macht und des dafür notwendigen starren und nach außen abgeschotteten Systems gewonnen.