Berliner Morgenpost, 14.2.2000

Flüchtlingsrecht verletzt

Verwaltungsgericht rügt Innenverwaltung

Das Land Berlin verletzt nach Feststellung des Verwaltungsgerichts durch eine «rechtswidrige Verfahrensweise» die «Grundrechte von traumatisierten Flüchtlingen in mehrfacher Hinsicht». (Az.: VG 35 F 82.99) Aus der ausführlichen Begründung geht hervor, dass beim Sachgebiet Abschiebung des Landeseinwohneramtes und beim Polizeiärztlichen Dienst trotz öffentlicher Kritik die Missachtung grundlegender Rechte der Flüchtlinge offenbar gängige Praxis ist. Die Senatsinnenverwaltung wies die Kritik zurück, da das Verfahren selbst nicht Gegenstand der Gerichtsverhandlung gewesen sei.

Im vorliegenden Fall hatte eine Familie aus Bosnien einen Bescheid des Landeseinwohneramtes angefochten und in vollem Umfang Recht bekommen. Der 47-jährige Familienvater, laut zwei Gutachten durch seine traumatischen Erlebnisse dringend behandlungsbedürftig, hatte 1999 bereits vor dem Bescheid, in dem die Duldung widerrufen und die Ausreise angeordnet wurde, vier Suizidversuche unternommen. Angesichts der von der Behörde veranlassten Festnahme versuchte er am 3. Dezember erneut, sich das Leben zu nehmen. Die Behörde hatte den Kranken zuvor mehrfach zum Polizeiärztlichen Dienst bestellt, der die Flug- und Reisefähigkeit prüfen sollte, und im übrigen argumentiert, die Beschwerden des Mannes seien «in Kroatien behandelbar».

Bemerkenswert ist der Beschluss deshalb, weil er sich über den Einzelfall hinaus mit dem Verfahren auseinander setzt. So wird die Entscheidung des Landes Berlin kritisiert, alle etwa 800 Bürgerkriegsflüchtlinge, die unter Vorlage von privatärztlichen Attesten eine Kriegstraumatisierung geltend machen, ohne Einzelfallprüfung generell einer polizeiärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Dies sei eine «verfassungsrechtlich unzulässige, weil gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen das Übermaßverbot verstoßende Verdachtsuntersuchung», für die es in der geltenden Rechtsordnung keine Grundlage gebe, urteilte die Kammer. In allen bislang untersuchten Fällen hielten die Befunde der Polizeiärzte einer Überprüfung nicht stand. KNA