Kurier (A), 14.2.2000

Hunger leiden und hoffen im Irak

Zehn Jahre Sanktionen gegen Saddam Husseins Reich haben den Irak zu einem Armenhaus für die Mehrheit und zu einer Goldmine für eine kleine Minderheit gemacht. Krisengewinnler und Schmuggler leben in Reichtum, während eine Million Kinder und alte Menschen wegen des UNO-Embargos ihr Leben verloren.

"Ich gehe in den Reitclub, den Sportclub, den Jugendclub, habe ein Auto und verdiene 30 Dollar im Monat", erzählt ein junger Mann mit angestrengt positiver Miene. Er hat mit dem Regime nichts zu tun und weiß folglich nicht, wie die offizielle Lesart lautet: Das Embargo tötet das irakische Volk. Einen "Genozid" nennt es Gesundheitsminister Umid Medhat Mubarak, ein Kurde. Der Minister beklagt sich, dass seine vielen Interviews nie erschienen und schiebt es der Gängelung westlicher Journalisten in die Schuhe. Eine Million Menschen, hauptsächlich Kinder und Alte, seien in zehn Jahren Embargo gestorben.

Das bestätigt auch die UNO. Demnach hat sich die Säuglingssterblichkeit im Irak mit seiner einst vorbildlichen medizinischen Versorgung verdrei-, die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren verfünffacht.

Die häufigsten Todesursachen: Durchfallerkrankungen, Lungenentzündung. Und seit ein paar Jahren Blutkrebs und Missbildungen, hauptsächlich im Raum Basra, wo im Golfkrieg 1991 Panzerschlachten tobten.

Nicht nur der Minister gibt der von den Alliierten verwendeten Munition - panzerbrechendes abgereichtertes Uran - die Schuld an den diversen Ausprägungen von Immunschwäche. US-Ärzte stellten bei Kindern von Golfkriegsveteranen dieselben Störungen fest.

Im Spital von Basra fehlt es an Medikamenten und Instrumenten. Die Blutbank hat für eine Region von drei Millionen Einwohnern 20 Blutkonserven - die Säckchen fallen unter das Embargo. "Das ist der schlimmste Krieg, ein Krieg gegen unsere Kinder. Sagen Sie Clinton, dass wir ihn hassen. Und sagen Sie der Welt, wie wir leiden", schreit sich eine Großmutter ihre Hilflosigkeit aus der Seele. Ihre Enkelin hat Leukämie. "Die meisten Kinder, die Sie hier sehen, wird es in ein paar Wochen nicht mehr geben", erklärt der Arzt. "Was haben diese Kinder mit Politik zu tun?"

"Die Welt muss das Embargo aufheben", hoffen alle Iraker. Zu weiteren Äußerungen lässt sich in dem Land mit seinen ausgeprägten Spitzeldiensten niemand hinreißen. Zu oft verschwinden Missliebige. Die Augen der Menschen sprechen von Angst. Bestenfalls in einem unbeobachteten Moment - Journalisten haben immer einen "Führer" aus dem Informationsministerium mit sich - sagt einer, die Lage sei "sehr, sehr, sehr schlecht".

Und es klingt wie ein politisches Statement. Ein einziger wagt die Feststellung, es sei "falsch", dass Bagdad nicht mit der UNO kooperiere. Saddam Hussein beharrt auf der Aufhebung der Sanktionen, die UNO will sie nur aussetzen. Der Streit tobt seit Wochen.

"Ein Embargo gegen ein Volk, zehn Jahre lang, das nenne ich nicht Politik, das nenne ich Ausrottung", ereifert sich ein Universitätsprofessor. Die Sanktionen hätten nicht nur gesundheitliche, sondern auch sozialpolitische Folgen. Man sei auf allen wissenschaftlichen Gebieten von der Welt abgeschnitten, verliere den Anschluss an die Moderne.

Und man verliert ausgebildetes Personal. Wer kann - und die nötigen 200 Dollar bei einem Monatsgehalt von zwei, drei Dollar auftreibt -, verlässt das Land. Viele Junge heiraten nicht, weil sie keine Familie ernähren könnten. Kinder verkaufen an Straßenkreuzungen Zigaretten, anstatt in der Schule zu sitzen. Die Mittelschicht wurde zur Arbeiterklasse. Jeder hat zwei, drei Jobs, damit die Familie nicht verhungert.

Eigentlich würde das UN-Programm "Lebensmittel gegen Öl", das dem Irak Ölverkäufe in Höhe von 5,2 Milliarden Dollar im Halbjahr erlaubt, für das Überleben der Menschen sorgen. Für die Verteilung der Lebensmittelrationen ist das Regime zuständig, eine "Frage der Würde", heißt es. Die UNO darf nur kontrollieren.

Hilfsorganisationen werden am Arbeiten gehindert. "Das Embargo hat fürchterliche Folgen. Aber das Regime ist daran nicht unschuldig", so ein westlicher Helfer. So manches Medikament findet sich auf dem Schwarzmarkt - unerschwinglich für die meisten. Während die Bonzen Luxusvillen bauen und elegante Restaurants bevölkern. Ein Essen kostet hier so viel wie das Halbjahresgehalt eines Beamten.

Autor: Livia Klingl, Irak