Kurier (A), 13.2.2000

Der nicht deklarierte Krieg

Seit Ende des letzten Golfkrieges im Dezember 1998 haben Amerikaner und Briten den Irak nahezu täglich im Visier - ohne dass dies noch Schlagzeilen machen würde.

Trebil, der mitten in der Wüste gelege- ne Grenzort zwi- schen Jordanien und Saddam Husseins Reich. "Welcome to Iraq", lässt sich gerade noch auf einer abgeblätterten Tafel entziffern. Die Grenzbeamten, so sagt man, zahlen an ihre Vorgesetzten, damit sie hier Dienst machen dürfen. Ist doch die Abfertigung der Reisenden durch das obligate Bakschisch ein lukrativer Job für einige wenige. Auch Udai Al-Taie, der Direktor der irakischen Nachrichtenagentur, beklagt sich nicht über seine Lebensumstände. Den Hardliner, der für die gefilterten Informationen zuständig ist, die den 22 Millionen Untertanen zukommen, drücken nicht die Sorgen um das tägliche Überleben.Er spricht über Weltpolitik, über den "nicht deklarierten Krieg" gegen sein Land. Seit dem letzten Golfkrieg im Dezember 1998 (der viertägigen, von USA und Großbritannien geführten Operation Wüstenfuchs) flogen Piloten der beiden Staaten mehr als 18.000 Einsätze über irakischem Boden.

Udai Al-Taie: "Täglich attackieren sie uns - und wir sie." Vergangenen Mittwoch etwa wurde der Nordirak - der ebenso wie der Süden zu einer Flugverbotszone erklärt wurde (siehe Stichwort) - bombardiert, nachdem die alliierten Flugzeuge Ziel von Saddams Flugabwehr gewesen waren. Tags zuvor waren die Alliierten unter Feuer irakischer Patrouillenflugzeuge geraten und revanchierten sich mit Angriffen - unter anderem auf eine Obstplantage.

Nach Bagdader Angaben wurden am selben Tag bei einem Angriff im Süden drei Menschen getötet und acht verletzt. Insgesamt sollen diese Attacken bisher mehr als 100 Zivilisten das Leben gekostet haben.

Dieser Kleinkrieg unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle trifft das Regime im Zweistromland nicht nur in seinem Stolz. Washington und sein einziger verbliebener Verbündeter London setzen auf gezielte Abnützungsstrategie, indem sie die Luftabwehrsysteme des Irak auszuschalten versuchen. US-Piloten dürfen längst nicht nur jene Verteidigungsanlagen oder Flugzeuge angreifen, die sie bedrohen, sondern auch nahe gelegene Anlagen.

Wobei die Piloten nicht erst um eine Angriffserlaubnis von ihrer Basis im türkischen Incirlik (die anderen befinden sich in Saudi-Arabien und Kuwait) bitten müssen. US-Regierungsbeamte deuteten an, die Überwachungsflüge würden bewusst in der Nähe von Anlagen stattfinden, die man zu zerstören beabsichtige.

Das einfache Volk, in Geiselhaft sowohl seines Führers als auch der USA und Großbritanniens, kümmert sich längst nicht mehr um die täglichen Überflüge. "Wir haben hier ein Sprichwort: Der nasse Mann fürchtet sich nicht vor dem Regen", sagt ein junger Iraker lakonisch.

Der Zermürbungskrieg, der seit nunmehr 14 Monaten - ohne UN-Mandat - geführt wird, ist die Folge der internationalen politischen Hilflosigkeit nach der irakischen Invasion in Kuwait 1990 (die Bagdad als "Eintritt" in das Scheichtum bezeichnet und als "Verteidigung". Habe Kuwait doch den nach dem Krieg gegen Ajatollah Khomeinis Iran hoch verschuldeten Irak in die Knie zwingen wollen, indem man mehr Erdöl förderte als vereinbart, und damit die Weltmarktpreise in den Keller fuhr).

Wohl ist die UNO der Meinung, dass der unberechenbare Irak mit seinem Führer mit dem Faible für Massenvernichtungswaffen kontrolliert werden müsse, damit Bagdad nicht wieder Nachbarn bedroht- und seine kurdische wie auch schiitische Opposition. Seit der Operation Wüstenfuchs allerdings sind die Kontrollore ausgesperrt. Seither streitet die Welt um Rüstungskontrolle und Wirtschaftsembargo.

Der Irak weiß die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, China und Russland in punkto Sanktionen längst auf seiner Seite. Österreich auch. Und selbst die irakische Opposition glaubt nicht, dass Washington Saddam - trotz eines anders lautenden Gesetzes - beseitigen will. Aus Angst vor Chaos in der erdölreichsten Region der Welt.

STICHWORT: Resolutionen und Flugverbot

Nach dem Überfall Kuwaits und dem anschließenden Golfkrieg von rund 30 Alliierten gegen Saddam Husseins Reich vereinbarten die UNO und Bagdad im Waffenstillstandsabkommen vom April 1991 ein Rüstungskontrollprogramm. Zuvor war ein Embargo verhängt worden.

Am 17. Dezember 1998 verließen die UN-Waffeninspektoren den Irak. Ende Jänner ernannte UN-Generalsekretär Annan den ehemaligen Chef der Atomenergiebehörde, den Schweden Hans Blix, zum Zuständigen für die neue Kontrollmission UNMOVIC. Auf diese hatte sich der Sicherheitsrat in der Resolution 1284 vergangenen Dezember bei elf Ja-Stimmen und vier Enthaltungen geeinigt. Bagdad jedoch weigert sich, mit der UNO zusammenzuarbeiten, weil die Sanktionen nach dieser Resolution nicht aufgehoben, sondern nur für jeweils 120 Tage ausgesetzt würden.

Die Flugverbotszonen nördlich des 36. und südlich des 33. Breitengrades wurden von USA, Großbritannien und Frankreich 1991 und 1992 (Süden) zum Schutz der dortigen Bevölkerung vor Saddams Schergen verhängt. Sie sind aber durch keine UNO-Resolution gedeckt und werden vom Irak seit der Operation Wüstenfuchs nicht mehr anerkannt.

Autor: Livia Klingl, Bagdad