Stuttgarter Zeitung, 10.2.2000

Dem grauen Wolf die Zähne gezogen

Nationalisten im türkischen Kabinett können den Regierungskurs nicht bestimmen

Ministerpräsident Bülent Ecevit hat die nationalistische MHP in die Regierung geholt. Seitdem gibt sich die ¸¸Wolfsfraktion'' äußerst friedlich.

Von Jan Keetman, Istanbul

Die Jugendvereine der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) nennen sich ¸¸Idealistenclubs'', besser bekannt sind sie unter der Bezeichnung ¸¸Graue Wölfe.'' Der Name kommt von ihrem Erkennungszeichen. Man legt die mittleren Finger auf den Daumen und spreizt die seitlichen Finger ab. Fertig ist der Wolfskopf. Die im Idealistenclub das Wolfszeichen machen, sind Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren, die meisten sind arbeitslos. Einige schlafen im Vereinszentrum, weil sie obdachlos sind. Andere bringen auch schon mal ihre Gasrechnung vorbei, damit der Club sie bezahlt.

Das Ziel dieser ¸¸Idealisten'' ist es, den Staat zu retten und zu verteidigen. Das versuchen sie, indem potenzielle Staatsfeinde - Linke oder kurdische Nationalisten - tätlich angegriffen werden. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen April eroberte die Partei 19 Prozent der Stimmen. Vermutlich wäre die MHP sogar stärkste Kraft in der Volksvertretung geworden, hätte Premier Ecevit nicht zuvor mit der Verhaftung Öcalans einen spektakulären Erfolg verbuchen können. Weil das Militär eine Kabinettsbildung unter Einbezug der Islamisten ablehnte, blieb nichts anderes als eine Koalition mit Beteiligung der MHP.

Ecevit hat eine Weile gezögert, ehe er sich mit den gewaltbereiten Wirrköpfen an einen Tisch setzte, doch die Koalition arbeitet bisher erfolgreicher als erwartet. Die MHP hat die bitteren Pillen geschluckt, die ihr Ecevit verordnete. Zunächst musste die Partei hinnehmen, dass ihre Anhänger nicht sofort nach der Wahl zu hunderttausenden in den Staatsdienst übernommen wurden. Auch dass die Todesstrafe gegen Öcalan nicht vollstreckt wurde, musste man hinnehmen. Das Ja Ankaras zu Europa bedeutet ferner den Abschied von den Träumen von einem Reich, welches alle Turkvölker und Muslime bis nach China vereinigt. Dass der graue Wolf in der Regierung nicht wie erwartet die Zähne fletscht, liegt auch daran, dass der legendäre ¸¸Führer'' der MHP, der Oberst Alparslan Türkesch, nicht mehr an der Spitze der Partei steht. Er ist vor fünf Jahren gestorben.

Seinem Nachfolger Devlet Bahceli fehlt es an Erfahrung. Auch das für Führer der extremen Rechten wichtige Charisma fehlt ihm. Ein weiterer Grund dafür, dass der Wolfsfraktion der Biss fehlt, ist ihre ideologische Verbohrtheit. Ihr kompromissloses Programm lässt sich kaum in konkrete Politik umsetzen, solange die eigene Macht beschränkt ist. An der Basis rumort es kräftig angesichts von Bahcelis zahmem Kurs. Vor allem die Jugend will sich mit der Realpolitik nicht zufrieden geben. Sie hält die Ikonen alter Heroen der Grauen Wölfe hoch, welche längst als Mörder und Drogenhändler entlarvt sind.