Frankfurter Rundschau, 11.2.2000

Eine Chance für die Kurdenpolitik

Im Blickpunkt: Neue Töne in der Türkei

Von Gerd Höhler (Athen)

Die PKK schwört der Gewalt ab, die pro-kurdische Hadep-Partei will sich breiten Wählerschichten öffnen. In der Türkei kommt Bewegung in die Kurdenfrage.

Die "Partei der Arbeiter Kurdistans" (PKK) gehört allem Anschein nach der Vergangenheit an. Aus den Namen ihrer Zweigorganisationen hat die PKK-Führung jetzt bereits das Wort "Kurdistan" getilgt. Damit besiegelte sie den Verzicht auf jenen eigenen Kurden-Staat. Für diesen hatte PKK-Führer Abdullah Öcalan im Sommer 1984 den bewaffneten Kampf ausgerufen, der seither 38 000 Menschenleben forderte. Aus der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans" wird nun die "Demokratische Volksunion", und der militärische Arm der Organisation, die "Volksbefreiungsarmee Kurdistans", heißt jetzt "Volks-Verteidigungskräfte". Damit, so ließ die PKK-Führung in einer Mitte dieser Woche verbreiteten Erklärung wissen, bestätige sie den von Öcalan gefassten Beschluss, den bewaffneten Kampf zu beenden. Der vor einem Jahr von türkischen Geheimagenten aus Kenia nach Istanbul verschleppte und Ende Juni zum Tode verurteilte PKK-Chef appellierte in den vergangenen Monaten mehrmals an seine Gefolgsleute, die Waffen zu strecken. Öcalan sucht sich zu einem Arafat der Kurden aufzubauen und seine ehemalige Guerilla-Truppe in die politische Legalität zu führen. Der PKK-Chef mahnt Gespräche über eine politische Lösung der Kurdenfrage an. Seine Forderungen hat er stark reduziert. Statt der früher propagierten Autonomie reicht ihm nun schon eine "Anerkennung kultureller Rechte" der Kurden.

Die Politiker in Ankara und das mächtige türkische Militär verweigern sich aber bisher den Schalmeientönen. Sie wollen weder mit dem "Staatsfeind Nr. 1" Öcalan noch mit dessen "Terrororganisation" verhandeln. Die PKK-Kämpfer, so die Generäle, sollen bedingungslos kapitulieren. Auch innerhalb der PKK ist Öcalans Friedenskurs keineswegs unumstritten. Noch etwa 5000 Kämpfer der Organisation dürften sich in den Bergen des Länderdreiecks Iran-Irak-Türkei verschanzt halten. Mindestens ein Dutzend örtlicher Kommandeure verweigern sich bisher Öcalans Kapitulationsappellen. Sie wollen weiter kämpfen.

Dennoch kommt Bewegung in die Kurdenfrage. Die pro-kurdische "Demokratie-Partei des Volkes" (Hadep) öffnet sich nun für breitere Wählerschichten. Hadep-Chef Ahmet Turan Demir wirbt um die "Solidarität aller, die Demokratie wollen - seien es Türken, Kurden oder andere ethnische Gruppen".

Die Hadep erzielte bei der jüngsten Parlamentswahl vom April vergangenen Jahres in den überwiegend kurdisch besiedelten Südostprovinzen Stimmenanteile von örtlich weit über 50 Prozent, kam aber landesweit nur auf knapp 4,8 Prozent und scheiterte damit an der Zehn-Prozent-Hürde. Überdies ist gegen die Hadep ein Verbotsverfahren vor dem türkischen Verfassungsgericht anhängig. Ihr werden, wie schon ihrer 1994 verbotenen Vorgängerpartei DEP, Verbindungen zur verbotenen PKK angelastet.

Noch haben die Regierungspolitiker in Ankara keine neue Kurdenpolitik formuliert. Doch es gibt ermutigende Signale. Die Hinrichtung Öcalans setzte die Regierung zunächst einmal aus. Ungeachtet des Verbotsverfahrens gegen die Hadep empfing Staatspräsident Süleyman Demirel vergangenen Herbst demonstrativ die von der Partei gestellten Bürgermeister der Kurdenmetropolen. Den Lokalpolitikern versicherte der in der Kurdenpolitik bis dahin als Falke geltende Präsident, seine Tür sei für sie "immer offen". Wenig später machte sich Außenminister Ismail Cem öffentlich für ein Ende des kurdischen Sprachverbots in den Massenmedien stark. Und der konservative Ex-Premier Mesut Yilmaz erklärte auf einer Konferenz seiner Mutterlandspartei in der Kurdenhochburg Diyarbakir: "Der Weg der Türkei nach Europa führt durch Diyarbakir!"