Frankfurter Rundschau, 11.2.2000

Europarichter schützen Türken

Bewährungsstrafe reicht nicht als Grund für Ausweisung

Von Martin Winter

Ein mit einer unbefristeten Arbeitserlaubnis in Deutschland oder in einem anderen EU-Staat lebender türkischer Staatsangehöriger darf auch dann, wenn er straffällig wurde, nicht automatisch ausgewiesen werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag.

BRÜSSEL, 10. Februar. Dem Beschluss des EuGH liegt der Fall eines türkischen Arbeitnehmers aus Nürnberg zu Grunde, der 1978 legal in die Bundesrepublik einreiste. 1989 wurde ihm eine unbefristete und unbeschränkte Arbeitserlaubnis erteilt, nachdem er in den Jahren zuvor ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber in Lohn gewesen war. Ende 1992 wurde er im Zusammenhang mit Drogenhandel verhaftet und nach 14-monatiger Untersuchungshaft Anfang 1994 zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Danach nahm er seine Arbeit wieder auf. Als er dann eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragte, wurde diese von der Stadt Nürnberg nicht nur abgelehnt, sondern er wurde auch ausgewiesen.

Obwohl das von ihm angerufene Bayerische Verwaltungsgericht in Ansbach die Ausweisung als vom deutschen Recht gedeckt ansah, fragte es bei dem EuGH an, ob sie möglicherweise mit europäischem Recht kollidiere. Dies beantworteten die Richter in Luxemburg nun mit Ja. Denn nach dem Assoziationsabkommen der EU mit der Türkei hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung. Dieser Rechtsstatus, den der Kläger in Deutschland erreicht hatte, werde nicht dadurch beendet, dass der Kläger in Untersuchungshaft gesessen habe, argumentieren die Richter. Um aber seine weiterhin bestehende unbefristete und unbeschränkte Arbeitserlaubnis nutzen zu können, habe er einen "Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis".

Einschränkend fügt der EuGH allerdings hinzu, dass eine Ausweisung dann begründet sein könnte, wenn das "persönliche" Verhalten des Täters geeignet sei, "die öffentliche Ordnung erneut zu gefährden". Was bei dem Betroffenen kaum der Fall sein dürfte, da seine Strafe wegen einer günstigen Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt worden war. Eine Ausweisung, die sich "ausschließlich auf generalpräventive Gründe (Abschreckung anderer Ausländer)" stützt oder die "automatisch" auf Straffälligkeit folgt, verstößt nach dem Urteil des EuGH gegen Gemeinschaftsrecht. (Az.: C-340/97)