Süddeutesche Zeitung, 11.2.2000

Erster Prozess um Sturm auf SPD-Büro

Besetzung scheitert an versperrten Türen

Junge Kurdin wegen Hausfriedensbruchs angeklagt

Von Alexander Krug

Sehriban D., 32, ist Kurdin mit türkischer Staatsbürgerschaft. Am 17. Februar vergangenen Jahres drang sie mit mehreren Gesinnungsgenossen von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in die SPD-Zentrale am Oberanger ein. Die versuchte Besetzung des Parteibüros zog eine Reihe von Ermittlungsverfahren nach sich. Sehriban D. ist die erste, die sich einem Strafverfahren stellen muss. Seit gestern sitzt die junge Frau auf der Anklagebank am Amtsgericht. Die Anklage lautet auf schweren Hausfriedensbruch und versuchte Sachbeschädigung.

Rund 20 Demonstranten waren damals gegen 17.30 Uhr in das Bürohaus eingedrungen. Die Gruppe versuchte, sich Zugang zu einem der Büros zu verschaffen. Doch überall waren die Türen versperrt. "Die sind mit einem Mordsgetöse durchs ganze Haus gejagt", erzählt Peter W. Der 42-jährige Angestellte hatte sich mit Kollegen im vierten Stock verbarrikadiert. Die Informationen über die fast gleichzeitige Erstürmung der Parteizentrale in Hamburg, bei der es zu Geiselnahmen und schwere Zerstörungen kam, versetzten die Genossen in Angst und Schrecken. Schon früher hätte es manchmal Besuche von Kurden oder anderen Gruppierungen gegeben, die aber immer friedlich verlaufen seien. "Die übergaben eine Resolution und wir haben Kaffee getrunken." Diesmal aber sei alles "ganz anders gewesen. Die haben gegen die Tür geschlagen und getreten".

Hintergrund der Ausschreitungen waren die Vorfälle um Abdullah Öcalan. Der Kurdenführer war am 16. Februar in Nairobi (Kenia) von Sicherheitskräften festgenommen und in die Türkei gebracht worden. Für die Staatsanwaltschaft steht deshalb außer Frage, dass die versuchte Besetzung Teil einer "zentral gesteuerten Aktion" der PKK war. "Es gab bundesweite und europaweite Aktionen, das Muster war immer dasselbe", meinte Staatsanwalt Michael Müller. Den Ermittlungen zufolge sollen sich die Eindringlinge zuvor in einer Moschee getroffen und ihre Aktion abgesprochen haben.

Genau dieser Vorwurf wird von der Angeklagten bestritten. Sehriban D., gelernte Kindergärtnerin, will die anderen Teilnehmer nur zufällig "beim Einkaufen" getroffen haben. "Es gab vorher keine Versammlung", sagt sie. Alles sei ganz spontan beschlossen worden. Sie sei auch nicht mit in den vierten Stock gegangen, sondern habe ein Stockwerk tiefer gewartet. Dort wurde sie auch von den Polizisten festgenommen. Die hatten sich zuvor nicht gerade mit Ruhm bekleckert: Zwar hatte sich an jenem Tag ein Zivilfahrzeug vor dem Parteihaus postiert. Aber die Beamten waren just im Moment der Besetzung nicht in ihrem Auto - wegen Falschparkens bekamen sie auch noch einen Strafzettel.

Die Staatsanwaltschaft hatte im ursprünglichen Strafbefehl 90 Tagessätze à 30 Mark gegen Sehriban D. beantragt. Eine Verurteilung aber will die junge Frau auf keinen Fall hinnehmen. Nach Angaben ihrer Verteidigerin Barbara Geiger möchte sich die 32-Jährige um eine Einbürgerung bemühen. Eine Vorstrafe würde dieses Vorhaben unmöglich machen. Doch auch für die Arbeit der Sozialdemokraten hatte die Aktion Folgen. Die Zentrale am Oberanger ist inzwischen mit einer Gegensprechanlage ausgerüstet, Gäste und Ratsuchende kommen nicht mehr so leicht hinein. "Den Sinn und Zweck eines offenen Parteihauses erfüllt es jetzt nicht mehr" bedauert Mitarbeiter Peter W. Der Prozess wurde vertagt, um weitere Zeugen zu hören.