Neue Zürcher Zeitung, 09.02.2000

Tradition und Kommerz - Sivan Perwer

Der «König der Musik Kurdistans» morgen in Zürich

Die Langhalslaute Saz eröffnet. Sie vollführt Schlangenlinien, wartet, schmiegt sich an den einsetzenden Gesang. Konflikte, Kriege, Liebe und Landschaften werden besungen, Ornamentierungen, Vibrati, Tremoli gespielt. Behutsam wagt sich die Singstimme voran, verweilt lange in tiefer Lage, ehe sie auf höhere Ebenen steigt. Turbulenzen; Klopfgeräusche auf dem Resonanzkasten und schnarrende Saiten betonen die Intensität. Dann - so, als ziehe sich die Schnecke in ihr Haus zurück - geht die Musik in ein beschwörendes Flüstern über.

Rock und Lawik Sivan Perwer ist ein begnadeter Sänger und Musiker: Feinzeichnung bis ins letzte Detail, eine sich zu einem zyklischen Ganzen schliessende Dramaturgie; Transparenz und Wärme setzen seiner Kunst schliesslich die Krone auf. Immer schon wollte der 1955 in der türkischen Region Urfa geborene Sänger bester Barde (Dengbej) Kurdistans werden. Bald einmal übte er sich in der Kunst des «Lawik», einer Gesangsform Ostanatoliens, die einst über Naturtonleitern gesungen wurde, heute jedoch persische und arabische Maqam-Reihen verwendet.

1983 zog Perwer nach Schweden und erweiterte sein musikalisches Spektrum: Er spielte mit Rockbands und veröffentlichte teilweise sehr kommerzielles Material. Die Kritik blieb nicht aus: «Ein grüner Blattsalat auf der einen, ein Rüeblisalat auf der anderen Seite. Sivan Perwer mischt die beiden Sorten und verkauft das Produkt als grünen Blattsalat», mokierte sich der in Zürich lebende kurdische Musiker und Akademiker Jalil Asid unlängst. Perwers Musik sei eine Mischform aus Stilreinheit und Improvisation.

Kontroverser Musiker Klar ist: Sivan Perwer ist eine kontroverse Persönlichkeit - Traditionalisten mögen ihn kaum. Der «König der Musik Kurdistans», wie ihn demgegenüber die Presse bezeichnet, ist in seiner Karriere von mehreren, teilweise verfeindeten politischen Parteien unterstützt - oder benützt? - worden. Während Jahren waren seine Lieder in Iran, im Irak und in der Türkei von TV und Radio verbannt; seine Kassetten und CD waren nur unter der Hand zu bekommen.

Die Fans aber vergöttern ihn. «If there were more people like you, then the world would be a better place», schreibt etwa eine Frau in einer Perwer-Homepage. Perwers Musik und Texte wirken; seine Heimat- und Liebeslieder machen ihn - trotz aller Kritik - zum einflussreichsten Sänger Kurdistans. «Du fragst, warum das kurdische Volk in Gefangenschaft leben muss. Ich, mein Sohn, sage dir: Es ist besser, du gewöhnst dich an diese Gefangenschaft», sang er 1988.

Thomas Burkhalter

Sivan Perwer und Ensemble. Zürich, 10. Februar, 20 Uhr, Kirche St. Peter.

CD: S. Perwer: Chants du Kurdistan (Musikvertrieb).