Süddeutsche Zeitung, 10.2.2000

Nabelschnur nach Ankara

Die Türken in Deutschland bekommen fast nur Informationen aus der Türkei

Während etablierte Blätter und Sender überkommene Klischees pflegen, versuchen neue Publikationen den Brückenschlag mit Pop und Lifestyle

Von Ralf Husemann "Alle Deutsche geworden vorsichtiger. Sie denken, jede Türke kann sein Kanakmän." Die populäre Fortsetzungsgeschichte des unerschrockenen "Turbo-Türk" ist nicht die Erfindung eines ausländerfeindlichen Witzbolds, sondern eines der Markenzeichen der neuen deutsch-türkischen Zeitung etap (Etappe). Diana Erol ist begeistert: "Mit eurer Arbeit habt ihr deutlich gezeigt, dass Türken nicht nur Döner verkaufen können, sondern auch international was drauf haben." Wenn man allein die Leserbriefe zum Maßstab nimmt, dann hat etap anscheinend den Nerv vieler in Deutschland lebenden Türken getroffen und "eine wirkliche Lücke ausgefüllt" - so die Leserin Esra Çorlu. Die deutschsprachige, aufwendig gemachte Lifestyle-Postille hat freilich nicht nur Freunde. Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir, der keine Gelegenheit auslässt, über die ihm wenig gewogenen türkischen Medien zu lästern, kann dem Blatt nur wenig abgewinnen. "Ein Zeitgeist-Magazin", sagt er abschätzig und prügelt gleich alle deutschen Medien, die bei der Vorstellung des Blattes "darauf hereingefallen" seien.

Noch härter geht Eckhard Scholz mit etap oder dem ähnlich chic durchgestylten türkis ins Gericht, das nur von Anzeigen lebt und in Nordrhein-Westfalen kostenlos zu haben ist. Scholz erbarmungslos: "Totgeburten." Sich selbst sieht er auf der sicheren Seite. Unter den von ihm herausgegebenen 40 Anzeigenblättern ist auch eines in türkischer Sprache, die im Bergischen Land erscheinende Haftalik Posta (Wochenpost). Ökonomischer Erfolg macht freilich allein auch nicht glücklich. Auf einem Seminar über "Türkische Medienkultur in Deutschland" in der Evangelischen Akademie Loccum gesteht Scholz, "zwei Seelen in meiner Brust" zu haben. Die des Kaufmanns und die des Staatsbürgers. Denn er sieht mit Sorge, dass inzwischen türkische Kinder eingeschult werden, "die kaum ein Wort Deutsch können". Und mit seinem nur auf Türkisch erscheinenden Produkt unterstützt er die Tendenz, sich gar nicht erst mit der Sprache des Gastlandes abplagen zu müssen. Andererseits müsse er sich, wie er selbstkritisch gesteht, "aus vertriebstechnischen Gründen Ghettos wünschen".

Gewaltige Mengen Bier

Das sind die Vokabeln, die vielen Deutschen Angst machen: Ghettos, Islamisierung, Parallelgesellschaft. Tatsächlich wissen die Deutschen und die 2,3 Millionen Türken, die mit Abstand stärkste fremdsprachige Minderheit im Land, nicht viel voneinander. Klischees dominieren. Da ist der kleine, dickbäuchige, unrasierte Türke im merkwürdigen Anzug mit Pullover, dem seine rundliche Frau mit Kopftuch und bodenlangem Mantel in drei Schritt Abstand hinterherläuft. Und da ist der ewig gewaltige Mengen Bier schluckende, areligiöse, eiskalte und womöglich noch fremdenfeindliche Deutsche, dessen einziger Lebensinhalt die Jagd nach dem Mammon ist.

Entsprechende Primitivbilder, gewürzt mit reichlich Demagogie und Manipulation, werden auch gerne von den in Deutschland erscheinenden türkischen Zeitungen gezeichnet. Die großen Blätter, wie die konservative Hürriyet (Freiheit), die liberale Sabah (Morgen) oder die sich als linksliberal verstehende Milliyet (Nation), gelten in der Türkei als seriöse, ernst zu nehmende Publikationen. Doch auf ihren zwei bis sechs für "Europa", und das ist vor allem für Deutschland, extra produzierten Seiten vergessen sie häufig jeden journalistischen Anspruch, und nicht selten fehlt es schlicht am Handwerkszeug des Zeitungsmachens. Da wird äußerst emotional berichtet, es werden Feindbilder aufgebaut und es wird, mit Namen und Bild des vermeintlichen Vaterlandsverräters, auch skrupellos denunziert. Einer jungen türkischen Journalistin wurde wegen eines Artikels in der Frankfurter Rundschau vom Chef der Hürriyet-Europa-Ausgabe in einer Kolumne anzüglich vorgeworfen, sie blase "in die Trompete von Cem Özdemir". Die Mutter des gebürtigen Badeners ("Ich bin nach Öcalan der türkische Staatsfeind Nummer zwei") wurde im staatlichen Fernsehen TRT-Int. aufgefordert, ihren Sprössling zu verstoßen. Und für den Fernsehmann Klaus Bednarz empfahl Hürriyet gar die körperliche Züchtigung, nachdem er es gewagt hatte, sich kritische Gedanken zum Kurdenkrieg zu machen.

Damals (1996) monierte immerhin der deutsche Presserat die Entgleisung, doch das ist eine seltene Ausnahme. Obwohl die türkischen Zeitungen in Deutschland respektable Auflagen haben (mehr als 200 000 Stück am Tag, davon allein Hürriyet 107 000), und 55 Prozent der in Deutschland lebenden Türken ausschließlich türkische Zeitungen lesen, nimmt die deutsche Öffentlichkeit deren Inhalte wegen der Sprachbarriere kaum wahr. Der Türkei-kritische Journalist Alper Öktern, der eine deutsch-türkische Beilage in der taz plant, will sich "gar nicht ausmalen", was in Deutschland passieren würde, wenn die türkischen Zeitungen nur einen Monat lang auf Deutsch übersetzt erscheinen würden.

Öktern ist kein Einzelfall. Viele Deutschtürken sind nicht nur mit der Qualität ihrer Zeitungen (sowie der gleichfalls fast ausschließlich aus der Türkei über Satellit gesendeten Fernsehprogramme) unzufrieden, sondern auch mit der Tatsache, dass dabei kaum ihre eigenen Probleme angesprochen werden. Der im Rheinland lebende Grafikdesigner Necmettin Atialp sagt: "Mich interessiert die Verkehrsberuhigung in meiner Straße mehr, als dass irgendwo in Anatolien ein Baum umgefallen ist. Ich muss doch an den Dingen in dem Land interessiert sein, in dem ich lebe."

Diese Meinung war lange Zeit nicht selbstverständlich. Vor allem die sogenannte erste Generation, die nach dem "Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt" vom 31. Oktober 1961 nach Deutschland gekommen ist, redete sich selber ein, dass man ja irgendwann in die "Heimat" zurückkehren werde. Doch obwohl viele Türken jetzt schon seit Jahrzehnten hier leben und viele hier geboren sind, ist die emotionale Bindung an die - tatsächlich längst fremd gewordene - Heimat noch sehr stark. Dass die Nabelschnur nach Ankara nicht so schnell abreißt, dafür sorgen nicht zuletzt die in Deutschland erscheinenden neun türkischen Tages- und zwei Wochenzeitungen (samt der kurdischen Özgür Politika/Unabhängige Politik) sowie nicht zuletzt die neun Fernsehprogramme, die in türkischen Haushalten fast rund um die Uhr laufen. Eine positive Ausnahme ist der kleine deutsch-türkische Sender Aypa-TV, der - auf dem Berliner Spreekanal - spät am Abend nur eine halbe Stunde sendet. Das Sofa-Fernsehen von Ali Yildirim und Claudia Danschke bemüht sich unverdrossen seit sieben Jahren um "Transparenz zwischen den Kulturen und Gruppen". Nur auf das türkische Publikum zugeschnitten ist dagegen das seit einem Dreivierteljahr in der deutschen Hauptstadt zu hörende "Radyo Metropol FM". Rund um die Uhr werden die 170 000 Deutschtürken in Berlin und Brandenburg mit türkischem Pop, Verkehrsmeldungen und ein bisschen Nachrichten versorgt. Äußerst erfolgreich, denn angeblich hören drei von vier Türken den neuen Dudelfunk. Getragen wird der scheinbar rein türkische Sender im Wesentlichen von einer Tochtergesellschaft der Ludwigshafener Verlagsgruppe Die Rheinpfalz.

Weil das Angebot in türkischer Sprache inzwischen so groß ist, sehen gerade aus der Türkei nachgezogene Frauen, aber auch zunehmend viele hier geborene junge Türken keinen Grund mehr, Deutsch zu lernen. Und die Sprachkenntnisse werden natürlich auf diese Weise auch nicht besser. Aber wie kann der Teufelskreis durchbrochen werden? Die gut gemeinten alten "Gastarbeiterprogramme", die in der jeweiligen Landessprache häufig nur eine halbe Stunde in der Woche senden, werden kaum mehr wahrgenommen. Aber auch das Lesepublikum der derzeit noch so dominanten türkischen Zeitungen wird älter, die Auflagen bröckeln. Eine Entwicklung, die Hürriyet ausgerechnet damit zu stoppen versucht, dass sie soeben ihre Redaktionsbüros in Hamburg, Köln und Berlin geschlossen hat - mit der Folge, dass auch die Europa-Seiten nun komplett in der Türkei produziert und via Satellit zum Drucken hierher gesendet werden.

Gezieltes "Ethno-Marketing"

Nun gibt es aber auch einige mutige Versuche, die Türken zweisprachig oder sogar nur auf Deutsch anzusprechen. Dahinter steht die ökonomische Erkenntnis, dass der potenzielle türkische Werbemarkt hierzulande noch nicht annähernd genutzt wird. Ein türkischer Haushalt gibt - wegen der größeren Zahl an Erwerbstätigen - im Schnitt etwa dasselbe aus wie ein deutscher Haushalt. Häufig legen die Türken heute sogar besonderen Wert auf teure Markenprodukte, weil ihre Eltern (im Hinterkopf immer die Rückkehr) selbst so sparsam waren. Hinzu kommt der kräftig steigende Umsatz der knapp 50 000 türkischen Unternehmen, der schon mehr als 40 Milliarden Mark im Jahr ausmacht - mit kräftig steigender Tendenz. Sind es bislang noch zumeist gastronomische Betriebe und Einzelhändler, so tummeln sich zunehmend Türken auch in allen anderen Branchen. Dank dem neu entdeckten "Ethno-Marketing", mit dem gezielt die Minderheiten auch mit deutschen Produkten angesprochen werden sollen, entsteht jetzt auch ein "neues Werbeumfeld", sprich neue Zeitungen und Sender, die nicht made in Ankara oder Istanbul sind.

Das bedeutet zugleich: Es werden mehr Brücken von der deutschen zur türkischen "Ethnie" geschlagen und umgekehrt. Das bedeutet nicht, dass die Türken sich allmählich den Deutschen assimilieren, wie man lange die geforderte "Integrierung" verstanden hat. Parallelgesellschaften gibt es schließlich auch sonst, ohne dass dies als bedrohlich empfunden wird: Auch innerhalb der deutschen Gesellschaft finden sich zig verschiedene Milieus, die den einen vertraut sind und den anderen für immer fremd bleiben. Der britische Sozialwissenschaftler Charles Husband aus Bredford stellte vergnügt fest: "Meine Frau und ich sind auch eine Parallelgesellschaft. Sie hat Bekannte, von denen ich überhaupt nichts weiß. Das beeinträchtigt unsere Beziehung aber in keiner Weise."